Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
Lebens in unserer Treibhauswelt«, hörte er sich sagen, »führten Israel in eine Spitzenposition als Wirtschaftsmacht, genau als die Japaner ihre Heimatinseln verlassen mussten. Wir bewegen uns auf vielen Gebieten gleichzeitig. Die israelische Regierung hat in den meisten Megamultis große Investitionen, wusstest du das? Wir besitzen beträchtliche Minoritätsanteile sowohl an Samurai wie an Kyocera. Aber die Megafirmen sind noch immer vorwiegend in der Hand der Japaner, und die geben sich alle Mühe, uns draußen zu halten. Ihr sehnlichster Wunsch ist es, uns aus unserer Spitzenposition zu vertreiben. Dazu ist ihnen jedes Mittel recht. Jedes. Also behalten wir sie im Auge, Jolanda. Wir behalten alle im Auge.«
»Und wenn Israel eine Adapto-Technologie entwickeln könnte, bevor es Samurai gelingt, dann würdet ihr eine gefestigtere Stellung in der künftigen Welt einnehmen?«
»Ja, das glauben wir.«
»Ich glaube, das ist falsch. Ich glaube, wir sollten die Erde aufgeben und statt dessen in den Weltraum gehen.«
»In die Habitate, ja? Deine große Zwangsvorstellung.«
»Du glaubst, ich bin dämlich?«
»Dämlich?«, rief er. »Aber nein, niemals!«
Er gab sich nicht die geringste Mühe, ernsthaft zu klingen. Inzwischen langweilte sie ihn und wurde ihm lästig. Erstaunt merkte er, dass auch sein sexuelles Interesse an ihr schwand. Sie ist keine Kamelstute, dachte er, sie ist eine Kuh, eine lächerliche Kuh mit der Wahnvorstellung, eine Intellektuelle zu sein.
Aber trotzdem zog er seine Hand nicht zurück.
Jolanda wiegte sich hin und her über seiner Hand und presste die Schenkel zusammen. Dann drehte sie sich ihm zu, riss die Augen auf und sah ihn seltsam flirtbereit und provozierend an, als hätte sie sich entschlossen, ihm ein ungeheuer wichtiges Geheimnis anzuvertrauen. »Ich sollte dir vielleicht sagen, dass ich möglicherweise nicht hier unten herumwarten werde, bis unsere Umwelt noch weiter zugrunde geht. Ich denke ernstlich darüber nach, schon sehr bald nach L-5 zu gehen.«
»Ach wirklich? Und hast du dir schon ein bestimmtes Habitat ausgesucht?«
»Ja, es heißt Valparaiso Nuevo«, sagte sie.
»Kenne ich nicht.« Sie saßen nun in fast völligem Dunkel und schauten in die Dunkelheit hinaus. Eine Katze, die er vorher noch nicht bemerkt zu haben glaubte, ein sehr hochbeiniges Tier mit schmalem kantigem Kopf war von irgendwo aufgetaucht und rieb sich an seinem Schuh. Die Weinflasche war leer. »Nein, wart mal, es fällt mir wieder ein. Eine Asylwelt, ja? Wo flüchtige Kriminelle untertauchen können?« Der Kopf schwamm ihm allmählich von der Hitze, dem endlosen Gequatsche, dem Wein, von seinem wachsenden Hunger, der bedrängenden Intensität von Jolandas Körper, vielleicht auch von den Nachwirkungen des Kontakts mit ihren bioresponsiven Skulpturen. Und wieder rührte sich das Verlangen in ihm, anfangs träge, dann mit wachsender Heftigkeit. Diese Frau konnte einen rasend machen mit ihrer Dummheit, aber sie war zugleich seltsam unwiderstehlich. Ihr Gespräch verirrte sich jetzt ins Surreale. »Wieso möchtest du denn dort hin?«, fragte er.
Ihre Augen funkelten ihn an. Theatralisch böse, ein Kind, das Verschlagenheit mimt.
»Ich glaube, ich sollte es dir wirklich nicht sagen.«
»Ach, komm schon. Sag es mir.«
»Aber du behältst es ganz und gar für dich, ja?«
»Was soll ich behalten? Ich verstehe nicht.«
»Das muss man sich mal vorstellen. Ich nehme einem Spion einen Schwur der Geheimhaltung ab! Aber du bist sowieso in ein paar Tagen fort, und außerdem hat das alles für dich gar keine Bedeutung. Israel ist davon nicht im geringsten betroffen.«
»Ja, dann kannst du es mir ja ruhig sagen.«
»Ja. Also, ich werde es dir sagen.« Wieder der hastige Blick des ›bösen kleinen Mädchens‹. »Aber du behältst es ganz bestimmt für dich? Abgemacht?« Ich hab ein Geheimnis, aber dir werd' ich es sagen, aber nur dir, weil du mein Freund bist und ich dich so süß finde.
»Ich schwör's.« Was für ein Blödsinn!
»Du hast ganz recht, Valparaiso Nuevo ist eine Welt für Schutzsuchende und Kriminelle jeder Art, die der dortigen Regierung Geld bezahlen, damit die sie vor Fahndern beschützt, die sie aufspüren könnten. Chef ist so ein verrückter alter lateinamerikanischer Diktator, der dort seit dem ersten Jahr am Ruder ist.«
»Ich komme immer noch nicht mit. Was hat das alles mit dir zu tun?«
»Ich habe einen Freund in L. A.«, sagte Jolanda. »Und der gehört zu einer Gruppe von
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