Der heiße Himmel um Mitternacht: Roman (German Edition)
der F-Speiche. Enron schätzte die Schwerkraft auf etwa sechs Ge; auf jeden Fall aber der Erdnorm etwas näher als im Terminal. Aber bisher zeigte das noch keine Wirkung. Er hoffte, Jolanda werde später im Hotelzimmer nach dem Essen ein wenig lebendiger sein.
Sie betraten den Patio des Restaurants. Ein öliger Oberkellner dienerte sie schmalzig an einen Tisch. Aus dem Tischtuch erblühte auf Visoren das Menü.
»Was willst du trinken?«, fragte er.
»Was?« Sie sah ihn verwirrt blinzelnd an.
» Trinken, etwas zu trinken! Wach auf, Jolanda!«
»Oh. Trinken? Tut mir leid, Marty. Es muss der Jetlag sein.«
»Beim Shuttleflug gibt es keinen Jetlag. Wir sind direkt hier raufgeflogen. Wumm! Schneller, als es zwischen L. A. und Tel Aviv geht.«
»Aber irgendwas ist es. Ich fühle mich so komisch.«
»Gefällt es dir hier nicht?«
»Ach nein, das ist es nicht. Es ist wundervoll hier. Ich habe ja gewusst, dass die Raumwelten wunderschön sind, sagenhaft, aber ich habe mir nie so recht ausgemalt – die Sterne, der Mond – die ganze Pracht, diese ganzen schimmernden gläsernen Wände, die grandiose Aussicht überall – und diese Luft – die ist so frisch, dass ich mir wie betrunken davon vorkomme, Marty. Ich habe noch nie eine Luft wie die hier geatmet.« Sie sah ihn um Verzeihung bittend mondkalbhaft an. »Ich bin dermaßen aufgeregt, dass ich ganz benommen bin, glaube ich. Mir kommt das alles wie ein Traum vor. Ach, Marty, ich bin so hingerissen, dass du mich hierher mitgenommen hast. – Bestell mir einen Whiskey-sour, bitte.«
Gut. Wenigstens zeigte sie wieder ein paar Anzeichen von Leben.
Enron brachte ein Lächeln zustande. Er drückte die Bestellung in den Tischcomputer, dann langte er zu ihr hinüber, ergriff ihre Hand, streichelte sie zärtlich, drückte sie. Zwinkerte ihr zu. Heute Nacht im Hotelzimmer, dachte er, werde ich jeden Quadratmillimeter deines gigantischen wundervollen Riesenkörpers abschlecken, ich werde dich zur sexuellen Raserei treiben, ich will dich auf sechzig verschiedene Arten von hier bis in die Ewigkeit ficken. Und dann, am Morgen danach, werden wir uns auf die Suche nach deinen Freunden machen, deinen gerissenen Kumpeln aus Los Angeles, die sich angeblich hier irgendwo aufhalten und planen, den alten Generalissimo in den Materieumwandler zu stecken und seine Kleinwelt hier zu übernehmen. Und wenn wir sie gefunden haben, deinen Davidov und die anderen …
Während er an Jolanda herumfummelte, ließ er den Blick über ihre Schulter hinweg schweifen und überprüfte beinahe automatisch neugierig die anderen Tische. Und plötzlich entdeckte er dabei jemanden, dessen Anwesenheit hier ihn aufs höchste erregte.
Ja, da schau mal, wen wir hier haben! Unseren augenlosen ungarischen Kyoceraner!
Seine Finger verkrampften sich. Jolanda stieß einen kleinen überraschten Schmerzensschrei aus und zog die Hand fort. Sie sah ihn bestürzt an.
»Verzeih«, sagte er.
»Was ist denn los? Stimmt was nicht?«
»Nein. Eigentlich ist es nichts. Bloß was sehr Interessantes. Dreh dich nicht um, Jolanda. Steh einfach auf und geh durch den Patio. Du suchst die Toilette oder so. Frag einen Kellner, wo das ist. Und dabei schau dich genau, aber unmerklich um. Der Mann drei Tische hinter uns, er schaut in meine Richtung. Du wirst sofort wissen, wen ich meine.«
Sie tat genau wie befohlen. Enron folgte ihr mit den Augen, beobachtete die langsamen wogenden Bewegungen ihrer Hüften, der schwellenden saftigen Hinterbacken. Als sie an dem Ungarn vorbei kam, reagierte sie nur flüchtig, mit etwas hastigeren Schritten und einem kurzen Zurückzucken der Ellbogen, als hätte ein leichter elektrischer Strom sie gestreift. Ein weniger scharfer Beobachter, als Enron es war, hätte die Reaktion wahrscheinlich überhaupt nicht bemerkt. Sie ging sofort weiter, ihr loses Kleid waberte um sie herum, und sie verschwand auf der anderen Seite des Patio.
Auf dem Rückweg riskierte sie einen weiteren flüchtigen Blick auf das Gesicht des Ungarn. Sie war jetzt hellwach, die Augen klar, der Atem ging heftig, die Nasenlöcher blähten sich. Sie war aufgeregt, ja.
»Faszinierend«, sagte sie und setzte sich wieder. »So ein Gesicht habe ich noch nie gesehen.«
»Ich schon.«
»Du kennst den Mann?«
»Ich hatte mal Kontakt zu ihm. Vor langer Zeit.«
»Ein bestürzendes Gesicht. Ich möchte es gern modellieren. In Ton. Die Hände darübergleiten lassen, die Knochenstruktur darunter herausspüren. Wer ist der Mann,
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