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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marian Keyes
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draußen ist das Leben, heiß und gierig und brodelnd. Und wir, wir lassen es uns entgehen!«
    Lydia verbrachte viel Zeit damit, die Symptome ihrer Mutter ins Internet einzugeben – Verwirrung, Vergesslichkeit, plötzliche Vernachlässigung aller Haushaltspflichten –, und versuchte, eine Krankheit zu finden, die auf diese Merkmale passte. Aber dieses Symptom, wenn ihre Mutter so tat, als wäre sie in einem miesen Schwarz-Weiß-Film, wie sollte man das auf einen Begriff bringen?
    »Machst du mir die Haare, Sally?«
    Sollte sie das tun? Lydia war hilflos und unglücklich und wusste nicht, ob sie ihrer Mutter den Gefallen tun oder sie sanft wieder in die Wirklichkeit zurückholen sollte. Das konnte ihr niemand sagen. Eigentlich gab niemand zu, dass ihre Mutter ein bisschen verrückt war.
    »Mach mir einen Knoten.«
    Ellen hatte kurzes Haar, und so lange Lydia zurückdenken konnte, war es nie anders gewesen. Das klärte die Sache also.

    »Mum, du weißt, dass ich nicht Sally bin, nicht?«
    Ellen sah sie wachsam an. »Du bist … Lydia?«
    »Aber du nennst mich immer Sally.«
    »Entschuldige bitte, es ist nur, weil du ihr so ähnlich siehst.«
    »Ach, Mum!« Sie konnte die Tränen der Vergeblichkeit kaum zurückdrängen. »Das ist doch kein Grund. Ich meine, Ronnie sieht aus wie der Teufel persönlich, aber deswegen nennst du ihn doch nicht Luzifer.«
    »Vielleicht nicht laut«, gab Ellen zu und hatte plötzlich ein Blitzen in den Augen. »Aber insgeheim schon. Beelzebub.«
    »Wirklich?« Lydia musste lachen. »Beelzebub.«
    »Ich will damit nicht sagen, dass er ein Beelzebub ist, aber –«
    » – aber er sieht wie der Beelzebub aus, ja, ich glaube dir.« Lydia wedelte ihrer Mutter mit dem Geschirrtuch zu.
    »Ach, Lydia, dein eigener Bruder! Er hat dich gehätschelt und seine kleine Puppe genannt. Du warst so klein und winzig, aber ihn konntest du um den kleinen Finger wickeln. Er hätte alles für dich getan.«
    Ja, gut, das war lange her. Jetzt tat er nichts mehr für sie.

    »Iss auf«, redete ihre Mutter ihr gut zu.
    »Ja doch.« Mit deutlich erkennbarem Mangel an Begeisterung schob Lydia sich noch eine Gabel gebratenen Reis in den Mund.
    »Es schmeckt köstlich«, erklärte ihre Mutter.
    Das stimmte nicht. Es war auch nicht ekelig, einfach
nur ein bisschen fade. Aber als das Doppel-Schokoladeneis auch ein bisschen nach Nichts schmeckte, gestand Lydia sich das ein, was sie ohnehin wusste: Es lag nicht am Essen, es lag an ihr. Ihr Leben hatte den Geschmack verloren.
    Ohne Gilbert hatte sie nichts, worauf sie sich freuen konnte. Der Papierritz, den er ihr zugefügt hatte, brauchte doch länger, um zu heilen. Ohne bestimmte Absicht nahm sie ihr Handy.
    »Wen willst du anrufen?«, fragte ihre Mutter scharf.
    »Niemanden.«
    »Guck hin, Johnny Depp.«
    Sie hatte nur nachsehen wollen, ob Gilbert ihr eine Nachricht geschickt hatte – obwohl sie genau wusste, dass er das nicht getan hatte. Sie würde es schließlich auch nicht tun. Zwei Tage noch, bevor die von Poppy prophezeite Woche der Trauer vorbei war. Dann war das erledigt – sie würde nicht mehr an ihn denken.
    »Oh, Mum!« Das Kinn ihrer Mutter war mit Schokoladeneis beschmiert, das jetzt auf ihren Rock tropfte. Lydia griff nach einem Geschirrtuch. »Hier, ich wisch dir das Gesicht ab.«
    Ihre Mutter entwand sich und schlug nach Lydias Händen. »Hör auf, mich wie ein Kind zu behandeln. Warum bist du überhaupt gekommen, wenn du nicht den Film mit mir sehen willst?«
    »Ich gucke den Film doch!«
    »Das stimmt nicht. Du bist in Gedanken woanders.«
    Da hatte man es. Es gab Momente, da war Ellen völlig vernünftig, und dann sagte Lydia sich, dass ihrer Mutter gar nichts fehlte.

    Sie verscheuchte Gilbert aus ihren Gedanken, streckte die Beine aus und legte sie ihrer Mutter auf den Schoß und widmete Johnny Depp zwei Stunden lang ihre ganze Aufmerksamkeit. Auch ihre Mutter guckte mit voller Konzentration, bis der Abspann kam.
    »Hat dir das gefallen, Mum?«
    Aber ihre Mutter verzog den Mund zu einer schmalen Linie.
    »Was ist denn, Mum?«
    Sie würdigte Lydia keines Blickes.
    »Mum? Was hast du?«
    »Du hast gesagt, dass wir uns Essen bestellen. Wann machen wir das denn?«
    NEUNUNDDREISSIG TAGE …
    Puppenhäuser und Spielzeugpferdeställe und kleine glitzernde Nähmaschinen – so viel Rosa. Katie wollte ein Geschenk für Vivienne, die Tochter von MaryRose, besorgen. MaryRose hatte sich in der Conall-freien Woche sehr freundlich um Katie gekümmert, und

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