Der hellste Stern am Himmel
Herzinfarkt hatte, und verzichteten anschließend sogar auf einen Gratisbesuch im feinsten Bordell Dublins.
Das bedeutete, dass Katie, als sie unerwartet früh, nämlich schon um zwei Uhr morgens, zu Hause war, noch wach genug war, um sich der Wahrheit ihrer Arbeitssituation bewusst zu werden. Sie war am Ende, erkannte sie. Sie musste den Tatsachen ins Auge blicken: Elijah sicher ins Hotel gebracht zu haben, war wahrscheinlich ihre letzte Amtshandlung als Chefin der PR-Abteilung von Apex Entertainment.
Es schien vernünftig, sie zu entlassen – von den sechs
PR-Mitarbeitern bekam sie das höchste Gehalt. Außerdem – eine besonders schmerzliche Erkenntnis – war sie die älteste, und die Arbeit in der Musikbranche war nur etwas für junge Frauen. Ich bin neununddreißig, sagte sie sich erstaunt. Neununddreißig! Ein Wunder, dass ich so lange durchgehalten habe.
Sie sollte schlafen gehen. Aber das war unmöglich. Morgen würde man sie entlassen, und dann hätte sie kein Geld, und in den Zeiten der Rezession würde sie keine andere Arbeit finden, denn sie war für nichts anderes qualifiziert als dafür, Rockstars in Nachtclubs zu schleppen.
Ich bin am Ende, dachte sie.
Sie würde ihre Wohnung, ihr Auto, ihre Friseurtermine und ihren Personal Trainer verlieren – obwohl sie da eh nur einmal die Woche hinging, aber ihre Zeit mit Florence, der Antreiberin, war lebenswichtig – ohne sie würde sie sich womöglich überhaupt nicht überwinden, Sport zu machen.
Und dann – ihre schöne Wohnung. Aussichtslos, dass sie die behalten könnte. Ihre monatlichen Abzahlungen waren übelkeiterregend hoch, selbst mit ihrem jetzigen Gehalt. Sie hatte die Wohnung auf der Höhe des Booms gekauft, zu einer Zeit, als Pappkartons für eine Million Euro den Besitzer wechselten. Für jeden Quadratzentimeter ihrer Wohnung hatte sie viel Geld bezahlt. Aber sie war so verliebt in die Wohnung. Sie war klein – ein ausgebautes Dachgeschoss, die meisten Zimmer hatten keine richtigen Ecken –, aber gemütlich und sehr hell und von der Stadt aus zu Fuß zu erreichen. Obwohl sie das nicht ausprobiert hatte, nicht mit ihren Schuhen.
Eigentlich hatte sie gar nicht in der Musikbranche arbeiten wollen. Warum war sie da eingestiegen, warum nur ? Weil sie sich geschmeichelt gefühlt hatte, als man ihr die Stelle anbot, sehr geschmeichelt, und deshalb hatte sie die Tatsache, dass ihr Gehalt weniger gut war, als man vermuten würde, schlichtweg ignoriert. Viel wichtiger war ihr gewesen, dass man sie offenbar für cool hielt, wenn man sie einstellen wollte. Sie hätte stattdessen im Pressebüro der Regierung arbeiten können. Da wurden ältere Menschen nicht verspottet; sie wurden geschätzt und für ihre Weisheit verehrt. Niemanden kümmerte es, ob man dicke Oberschenkel hatte. Niemanden kümmerte es, wenn man (als Frau) ein Oberlippenbärtchen hatte (was sie nicht hatte). Im Gegenteil, dicke, hässliche Pressesprecher waren in der Politik besonders beliebt, weil sie größere Glaubwürdigkeit besaßen.
Am Ende, dachte sie, jawohl, am Ende.
Während die Nachtstunden vorüberzogen, stellte sie Berechnungen und Kalkulationen an: Wenn sie ihre Wohnung vermietete, würde sie dann genug einnehmen, um die Raten und ihren Friseur zu bezahlen? Wenn sie bei Blockbusters eine Stelle bekam, wovon würde sie sich ernähren? In der Zeitung hatte sie etwas über Menschen gelesen, die vom Mindesteinkommen leben mussten: Selbst wenn sie die abgelaufenen Sachen bei Tesco kauften, hatten sie ständig Hunger. Mit ihrem Heißhunger zurechtzukommen, war schon bei einem guten Gehalt ganz schön schwierig, denn immer wenn sie anfing zu essen, dachte sie besorgt an den letzten Happen. Wie wäre das erst, wenn sie wirklich Hunger hatte?
Selbst zum Selbstmord würde das Geld nicht reichen. In den letzten beiden Jahren, wahrscheinlich seit Jason, hatte sie einen halbherzigen Notfallplan, falls ihr Leben wirklich einmal unerträglich würde, so ähnlich wie die berüchtigte Zyankalikapsel von Spionen. Sie hatte den schlauen Plan gefasst, sich zu Tode zu fressen – so etwas gab es, die Menschen fraßen sich zu Tode, immer wieder warnten Ärzte fettleibige Menschen, dass sie tot umfallen würden, wenn sie ihre Essgewohnheiten nicht änderten. Sie hatte sich vorgestellt, dass es eine tolle Todesart sein müsste, vollgestopft mit Schokoladenkäsekuchen. Aber Schokoladenkäsekuchen war teuer, und sie würde sehr viel davon brauchen, bevor sie die tödliche Dosis
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