Der hellste Stern am Himmel
armen Mannes.
Sie rief Audrey zu sich. (Eine so verhaltene Schwingung, dass es fast wie eine Entschuldigung war. Zuverlässig, vertrauenswürdig, gewissenhaft. Bei den Rockstars nicht so beliebt wie Tamsin oder Danno.) »Sieh dir diesen Conall-Typen mal genauer an. Aber sei diskret.«
Nach wenigen Minuten kam Audrey mit finsterer Miene zurück. »Es stimmt. Er ist in Grahams Büro. Sie gehen die Arbeitsverträge durch.«
Katie biss sich auf die Fingerknöchel. »Wie sieht er aus?«
Nach längerem Überlegen sagte Audrey: »Grausam.«
»Himmel!«
»Mager und hungrig.«
»Das hört sich nicht so schlimm an.«
»Mager und hungrig und grausam.« Dann sagte sie: »Er isst Schokolade.«
»Was?«
»Auf dem Schreibtisch lag eine Riesentafel Mint Crisp, und die hat er gegessen, während er und Graham sprachen. Ganze Reihen davon, nicht einzelne Stücke.«
»Wie groß war die Tafel? Hundert Gramm? Zweihundert?«
»Eine von den richtig großen, die kriegt man nur im Duty-Free. Fünfhundert Gramm, glaube ich. Weißt du was, Katie? Er sieht richtig gut aus. Ich glaube, ich finde ihn attraktiv. Ich finde Männer, die Macht über mich haben, immer attraktiv.«
»Finde ihn lieber nicht attraktiv«, sagte Katie. »Du denkst immer, alles, was ein grausam aussehender Mann braucht, ist die Liebe einer liebenden Frau, dann hört er auf, grausam zu sein. Aber er bleibt grausam, und er zerfrisst dir das Herz.« Als sie diesen Rat erteilte, hatte sie das Gefühl, alt zu sein.
»Vielleicht findest du ihn auch attraktiv«, sagte Audrey.
»Bestimmt nicht.«
»Du kannst sagen, was du willst, aber über unsere Gefühle haben wir keine Kontrolle«, sagte Audrey dunkel.
Das Telefon klingelte: Die Autos waren da.
Einen Moment lang, einen köstlichen winzigen Augenblick lang überlegte Katie, ob sie einfach abhauen und sich die Quälerei mit den Knight Ryders und deren schlechter Laune ersparen sollte. Wenn sie sowieso entlassen würde …
Aber wenn sie nun zu denen gehörte, die ihre Stelle behalten konnten?
»Also gut«, rief Katie. »Danno, Audrey, macht euch bereit, die Wagen sind da.«
Sie mussten die Knight Ryders beim Hotel Four Seasons für das Abendkonzert abholen. Die Knight Ryders waren eine Heavy-Metal-Band, ein Quartett von alten ausgefuchsten Rockern, die Sucht, Scheidung, Bankrott, Herzstillstand mit Fast-Todesfolge, Motorradunfälle, Zerstrittenheit untereinander, Vertrauensbruch von Adoptivkindern und noch vieles mehr überstanden hatten. In ihrem Publikum waren viele, die die hohen Eintrittspreise bezahlten, weniger um die Hits aus den frühen Siebzigern zu hören, sondern vielmehr, um darüber zu staunen, dass alle vier noch da waren.
Jetzt waren die Kerle im achten Monat einer neun Monate langen Welttournee und hatten schon zwei sehr lange Tage in Irland verbracht. Die größten Sorgen machte sich Katie um Elijah Knight, den Lead-Sänger, lebende Legende und stolzer Besitzer einer gebrauchten Leber (von einem Erstbesitzer, der sie pfleglich behandelt hatte). Seit einem Jahr war er clean und nüchtern, aber Katie war zu Ohren gekommen, dass er das alles ziemlich leid war. Fest stand, dass jedes Wort, das Katie aus seinem Mund vernommen hatte, eine Klage war: Das irische Hotel war zu plüschig, die irische Presse zu unterwürfig, die irischen AA-Treffen hatten keinen Pep.
Katie und ihr Team richteten es so ein, dass immer einer von ihnen bei der Gruppe war – zurzeit war es Tamsin –, und vor Elijahs Hotelzimmer stand nachts ein »Leibwächter« (d. h. eine Wache).
Katie sank gerade auf die Rückbank des Wagens mit
den verdunkelten Scheiben, da war Tamsin am Telefon. »Es gibt Probleme mit Elijah.«
»Was denn?«
»Er müsste eigentlich anfangen, sich die Haare zu toupieren, aber er weigert sich und sitzt mit verschränkten Armen da wie ein Kind.«
»Ich bin schon auf dem Weg.« Katie kreuzte die Finger und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, dass heute Abend nicht der Abend war, an dem Elijah Knight wieder zur Flasche griff. Nicht, solange sie für ihn verantwortlich war. Wenn er und seine drei Kumpel mit ihren wilden Frisuren und ihren zerfurchten Gesichtern und ihren beschädigten Lebern bis morgen warten könnten, bis sie in Deutschland waren, dann wäre sie heilfroh.
Das Problem war jedoch, dass alles bestens lief. Katie redete Elijah gut zu, und er toupierte sich die Haare, bis sie volle zwanzig Zentimeter hochstanden. Dann gaben die Knight Ryders ihr Konzert, ohne dass einer von ihnen einen
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