Der hellste Stern am Himmel
Schlampe darstellen würde. Aber jetzt, da überhaupt nichts geschehen sollte, hatte sie das Gefühl, aus großer Höhe abzustürzen. Es musste eine Gerichtsverhandlung geben. Wie sonst sollte ihr Gerechtigkeit widerfahren?
»Und warum nicht?« Matt knirschte vor Wut mit den Zähnen.
»Der Staatsanwalt muss seine Entscheidung nicht begründen.«
»Heißt das, Sie glauben, dass David unschuldig ist?« Maeve war so schwindlig, dass sie fast ohnmächtig wurde. Konnte man im Sitzen ohnmächtig werden? »Sie glauben, ich habe die Sache erfunden?«
»Es bedeutet, dass es nach Ansicht des Staatsanwalts keine hinreichenden Beweise für eine Verurteilung gibt.«
»Das heißt also … ihm wird nichts geschehen?« Matts Gesicht war blass und angespannt.
»Es gilt die Unschuldsvermutung, so ist es.«
»Aber wie kann es bewiesen werden, wenn es nicht zur Verhandlung kommt? Maeve und ich, wir arbeiten in derselben Firma wie er. Sie wollen uns sagen, dass er einfach weiter zur Arbeit kommt wie sonst, so als wäre nichts geschehen?«
»Dem Gesetz nach hat er sich nichts zuschulden kommen lassen.« Der Polizist stand auf und wandte sich zum Gehen. »Warum sollte er seine Stelle verlieren?«
»Warten Sie. Bitte, warten Sie.« Maeve konnte ihn nicht gehen lassen, er musste erst seine Ansicht ändern. Denn wenn er jetzt ging, so wie die Dinge standen, kämen sie niemals zur Ruhe. »Können wir Berufung einlegen?«
Er fand das lustig. »Nein, nein, keine Berufung. Die Entscheidung des Staatsanwalts ist endgültig und bindend.« Dann lenkte er ein wenig ein. »Aber bedenken Sie, vielleicht ist es so das Beste. Es wird immer viel schmutzige Wäsche gewaschen bei solchen Verhandlungen.«
Niemand glaubte ihr.
Sie vertraute sich Yvonne an, ihrer besten Freundin aus der Schule. »David hat mich vergewaltigt.«
»Wie konnte er dich vergewaltigen? Er war mal dein Freund. Du hast doch früher mit ihm geschlafen.«
Sie vertraute sich Natalie an. »David hat mich vergewaltigt.«
»David braucht niemanden zu vergewaltigen. Er ist ein netter Typ.«
Sie vertraute sich Jasmine an, mit der sie einmal zusammengewohnt hatte. »David hat mich vergewaltigt.«
»Wie kannst du so etwas sagen? Er könnte dich dafür verklagen.«
Sie hörte auf, sich anderen anzuvertrauen.
Und sie würde wieder arbeiten. In zwei Wochen. In drei Wochen. Nächsten Monat. Wenn ihre Krankschreibung auslief. Nach dem Sommer.
Dann fingen die Panikattacken an. Beim ersten Mal wusste sie gar nicht, was es war. Aber sie wusste mit absoluter Gewissheit, dass sie im nächsten Moment sterben würde. Ihr Herz krampfte sich zusammen, sie bekam keine Luft und glaubte, sie würde die entsetzliche Angst nicht lebend überstehen. Es war die gleiche Angst, die sie damals auf dem Fußboden in Davids Schlafzimmer gespürt hatte, als er seinen Unterarm auf ihre Kehle gedrückt hatte. Die Erwartung des unmittelbar bevorstehenden Todes.
Sie fing an, sich vor Männern zu fürchten, vor ihrer Größe, ihrer Stärke, selbst vor einem zufälligen Blick in ihre Richtung.
Sie nahm zu, sie beide nahmen zu und versuchten,
die Gefühle mit Butter und Zucker und süßen Sachen zu ersticken. Maeve nahm zu, und sie hätte gern noch mehr zugenommen. Sie wollte in einem runden, drallen Körper verschwinden, wollte unsichtbar werden, so dass niemand sie jemals mehr attraktiv finden würde.
Sie ertrug es nicht, nackt zu sein, auch wenn sie allein war. Jede Berührung, auch Matts, raubte ihr den Atem. Das letzte Mal, dass sie mit Matt geschlafen hatte, war auf ihrer Hochzeitsreise.
Ihre Menstruation blieb aus, ihre Haare fielen aus. Die Haut an ihren Händen schuppte sich, sie bekam ein Ekzem. Sie konnte nur bei Licht einschlafen. Beim Lesen hatte sie den Anfang eines Satzes vergessen, wenn sie am Ende angekommen war. Sie verstummte fast vollständig.
Sie spürte nur noch Angst. Sonst nichts. Fast war es so, als wäre sie nie wieder in ihren Körper zurückgekehrt, nachdem sie sich an dem Abend bei David daraus entfernt hatte. Alles, was ihr geschah … ein bisschen war es, als würde sie einen Film ansehen. Es passierte einer anderen Maeve, nicht ihr, der echten.
Dann, nach vier Monaten, besserten sich die Dinge, und Maeve fühlte sich stark genug, wieder zur Arbeit zu gehen. Aber an dem Morgen, als sie mit Matt zum Büro fuhr und den Eingang sah, wurde sie von einem solchen Entsetzen gepackt, dass ihre Beine sie nicht trugen. Sie konnte nicht aus dem Auto steigen, und Matt musste sie
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