Der hellste Stern am Himmel
geweckt und sogar zwei Wochen vor der Zeit abgeschlossen hatte? Vielleicht war die Lage bei Goliath etwas angespannt, nachdem Matt die reizende Natalie zugunsten von Maeve verlassen hatte, so dass sie es vorgezogen hatten, die Stelle zu wechseln, und Maeve hatte in dem gegenwärtigen wirtschaftlichen Klima nichts anderes gefunden?
Den ganzen Morgen versah Maeve ihre Aufgabe und vergab Nichtrauchersuiten und Zimmer mit Doppelbett, je nach Wunsch. Es erfüllte sie mit einem gewissen Stolz: Menschen kamen zu Besuch in fremde Städte und fanden Schlafstätten vor, weil Maeve dafür gesorgt hatte.
Pünktlich um eins verließ sie ihren Platz und ging zu einem Sandwichladen in der Nähe, wo die mütterliche Frau hinter der Theke sie herzlich begrüßte.
»Hi, Maeve, was soll’s denn sein?«
»Hi, Doreen. Einmal Schinken, bitte –«
»Auf dunklem Brot, kein Senf? Tüte Chips dazu und eine Dose Fanta? Wozu frage ich dich überhaupt, das möchte ich mal wissen.«
»Eines Tages überrasche ich Sie vielleicht.«
»Bloß nicht. Der Schock wäre zu viel für mich. Es gibt schon so genug Ungewissheiten im Leben, auch ohne das.«
Maeve setzte sich mit ihrer Mahlzeit in die Sonne auf die Stufen der Central Bank, wo sie die Schwärme von Touristen und Passanten beobachtete und nach einer Gelegenheit Ausschau hielt, ihre tägliche gute Tat zu tun. Stimmte es, dass es in der kälteren Jahreszeit leichter
war?, fragte sie sich. Im März hatte sie damit angefangen, als die Menschen noch Handschuhe und Schals und Mützen trugen, die man leicht verlieren konnte, da musste Maeve nur aufspringen, ihnen das fallen gelassene Stück hinterhertragen und sich in der Dankbarkeit des Besitzers sonnen. Andererseits hatte der Sommer Touristen in die Stadt gebracht, Fremde, die das unlogische Straßensystem Dublins nicht durchschauten, und in den letzten Wochen hatte Maeve gar nicht nach Gelegenheiten suchen müssen, weil immer irgendein verirrter Italiener oder Amerikaner nach dem Weg gefragt hatte. Sie gab sich jedes Mal große Mühe, den Touristen den Weg genau zu erklären, und manchmal begleitete sie jemanden sogar ein Stück. Aber gerade war ihr Einsatz nicht gefragt. Niemand studierte verzweifelt den Straßenplan, niemand brauchte Hilfe, weil ein Kinderwagen die Stufen hinuntergetragen werden musste, niemand wollte dringend ein Handy benutzen. Es war zehn vor zwei, fast Zeit, wieder ins Büro zu gehen, und sie hatte immer noch niemanden gefunden, zu dem sie freundlich sein konnte, als sie – aha! – ihre Chance bekam. Ein junges Paar, offensichtlich Touristen. Das Mädchen stand neben einem der sehr irisch aussehenden grünen Briefkästen, der Junge fotografierte sie.
Maeve stand auf. Eigentlich hatte sie keine Lust dazu, sie hatte nie Lust, aber hinterher fühlte sie sich tatsächlich besser. Sie ging auf die beiden zu und zwang sich zu einem Lächeln. »Möchten Sie, dass ich von Ihnen beiden ein Foto mache? Neben dem Briefkasten?«
Die beiden starrten Maeve an, als wären sie zu Stein geworden. Vielleicht verstanden sie kein Englisch?
»Französisch?«, fragte sie. »Voulez-vous –«
»Wir sind Amerikaner«, sagte das Mädchen.
»Soll ich Sie beide zusammen fotografieren? Neben dem … ehm … Briefkasten?«
»Eh.« Der Junge hielt den Fotoapparat noch ein bisschen fester.
Plötzlich dämmerte es Maeve. »Ich habe nicht die Absicht, Ihre Kamera zu stehlen«, sagte sie. »Hier«, sie bot dem Mädchen ihre Umhängetasche an, »nehmen Sie das als Sicherheit.« Das Mädchen zögerte. »Bitte«, sagte Maeve, »ich will doch nur helfen.«
»Einfach so aus Freundlichkeit?«, fragte das Mädchen.
»Genau!« Maeve strahlte sie an.
»Es ist in Ordnung«, sagte das Mädchen zu dem Jungen, »ich verstehe jetzt. Gib ihr ruhig den Apparat.«
Maeve machte mehrere Bilder, und die beiden waren reizend und dankbar und sagten, sie seien ein festes Paar, und fügten hinzu: »Wenn Sie mal nach Seattle kommen …«
»Dann machen Sie von mir und meinem Mann ein Foto?«
»Ja!«
Insgesamt fühlte Maeve sich besser. Doch das Buch, das diese tägliche Übung empfahl – ein Ratgeber –, hatte nicht in Betracht gezogen, dass die Empfänger von Maeves Freundlichkeit nicht immer dankbar waren. Oft reagierten sie verwirrt oder misstrauisch oder einfach abweisend. Erst letzte Woche hatte sie zwanzig Minuten ihrer Mittagspause damit verbracht, einen Mülleimer der Marke Brabantia – gar nicht besonders schwer, aber unhandlich – von der Abbey
Weitere Kostenlose Bücher