Der hellste Stern am Himmel
auch, Audrey.« Zu Conall Hathaway sagte sie: »Ich gehe nämlich jetzt los, Elijah suchen.«
»Und wenn Sie ihn nicht finden?«
»Ich muss ihn finden. Er gibt heute Abend in Berlin ein Konzert vor achtzigtausend Menschen.« Allein der Gedanke!
»Wo werden Sie ihn suchen?«
»Wir fangen in den Pubs an.«
»Und wenn er da nicht ist?«
»Dann gibt es ein paar Damen der Nacht …«
»Und wenn er bei keiner ist?«
»Dann … ah … also dann …« Katie starrte in die Ferne und spürte mit einem Mal das volle Gewicht der schlaflosen Nacht, das aufgebrauchte Adrenalin, ihr Dilemma von Krise und Chance, und hörte, wie sie sagte: »Dann gibt es heute Abend in Berlin eine Instrumentalversion. Die Fans werden auf die Barrikaden gehen, achtzigtausend Träume werden zerschmettert, Millionen von Euros werden in den Sand gesetzt …«
»Und?«
»Und …« Sie zuckte die Schultern und lächelte erleichtert, denn auf einmal sah sie ganz klar. »Und eines Tages sind wir alle tot, und dann ist es sowieso egal.«
In diesem Fall gab es jedoch ein glückliches Ende. Nach einem wertvollen Hinweis eines Bürgers der Stadt wurde Elijah trunken und gefühlsduselig in einer Nische in Neary’s Bar entdeckt. Katie und Danno verfrachteten ihn in ein Flugzeug, flogen mit ihm nach Berlin, übergaben
ihn dort dem deutschen Tourveranstalter und flogen wieder nach Dublin. Elijah trat an dem Abend auf und sang – und kein Schaden war angerichtet. Doch noch am nächsten Tag machte Katie sich verrückt mit nachträglichen Überlegungen zu dem Debakel: Wenn sie Elijah nicht gefunden hätten? Oder wenn er zu betrunken gewesen wäre, um aufzutreten? Sicher, wenn sie ohnehin entlassen würde, dann war das alles unerheblich. In der Mittagspause ging sie, auf der Suche nach Tröstlichem, in einen Schreibwarenladen. Sie sah sich gern die Stifte und Hefte an und wusste, dass deren farbenfrohe Schönheit eine heilende Wirkung auf ihre gequälte Seele hatte. Sie fand ein Tagebuch mit getrockneten Stiefmütterchen, die ins Papier gepresst waren. So schön. Zugegeben, die Seiten waren zu uneben, als dass sie einen praktischen Zweck erfüllten, aber das interessierte sie nicht, es gefiel ihr, und sie würde es kaufen und … Verdammt! Vor den bunten Post-its stand Schasser Hathaway und stopfte sich gedankenlos ein Stück Rosinen-Nuss-Schokolade nach dem anderen in den Mund.
Was hatte er hier zu suchen, in ihrem Schutzraum?
Sie trat sofort den Rückzug an. Sie würde in die Drogerie nebenan gehen, da gefiel es ihr genauso gut wie in einem Schreibwarenladen. Stundenlang konnte sie sich Heftpflaster und homöopathische Heilmittel und Haarspangen ansehen. Eine Drogerie war ein Füllhorn erfreulicher Dinge, eine Kraft für das Gute, ein Lichtschein in einer Welt, die so oft in Dunkelheit getaucht war. … Zu spät! Conall Hathaway hatte sie entdeckt. Ihre Blicke trafen sich, er zerknüllte das Schokoladenpapier in einer
Hand und wischte sich mit dem Handrücken der anderen über den Mund.
»Katie. Hallo.« Sein Adamsapfel zuckte, als das letzte Stück Schokolade die Speiseröhre hinuntergezwungen wurde. »Wie sieht’s aus?«
»Gut.« Ein Schweigen entstand, und mit reflexartiger Höflichkeit, die sie sich bei der PR-Arbeit angewöhnt hatte, fragte sie: »Wie läuft es denn so?«
Conall zuckte bedrückt die Achseln. »Bei Apex bin ich nicht gerade sonderlich beliebt.«
Dass er den Nerv hatte! So – wie konnte man sagen? Ja, sie hatte es. So unaufrichtig .
Sie blickte ihn mit ausdrucksloser Miene an und dachte: Du bist unaufrichtig. Du siehst meine Fassade, und ich denke, dass du unaufrichtig bist, und du weißt es nicht. Wahrscheinlich streichst du meine Stelle, aber ich kann trotzdem denken, dass du unaufrichtig bist, und daran kannst du nichts, aber auch gar nichts ändern.
Das gefiel ihr richtig gut. So gut, dass sie sagte: »Vielleicht hätten Sie eine andere Laufbahn einschlagen sollen.« Zur Erklärung fügte sie hinzu: »Falls Sie geliebt werden möchten.« Hatte sie das wirklich gesagt? Zu ihrem weiteren Erstaunen sagte sie: »Vielleicht das Priesteramt?«
Indien, dachte sie und sah in sein verdutztes Gesicht. Indien. Was immer er tat, er konnte sie nicht verletzen. Schlimmstenfalls konnte er sie entlassen, und dann würde sie nach Indien gehen. Wo sie Erleuchtung finden würde. Und außerdem, so hoffte sie, würde sie sich eine durch Wasser übertragene Infektion des Magen-Darm-Trakts zuziehen, worauf sie massenweise Pfunde
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