Der hellste Stern am Himmel
Du hast es verdient. Wenn du möchtest, esse ich auch einen, um dir Gesellschaft zu leisten.«
Jemima war im Schlafzimmer und hörte, wie Fionn sich mit Grollo unterhielt. Ein echter Willenskampf. Grollo, von Natur aus paranoid und misstrauisch, fühlte sich äußerst bedroht und hasste Fionn. Aber Fionn wollte, dass alle Welt, auch die Hunde, ihn liebten. Er ließ dabei nichts unversucht, lächelte, machte Komplimente, bedrängte den Widerstrebenden so lange, bis der sich geschlagen gab und ermattet bereit war, Fionn von ganzem Herzen zu lieben. In Anbetracht dessen, was Fionn durchgemacht hatte, der Arme, war er doch erstaunlich gut geraten. Vielleicht hatte er eine zu ausgeprägte Neigung, der Gesellschaft von Pflanzen gegenüber menschlicher Gesellschaft den Vorzug zu geben, aber wenn man bedachte, aus welcher Bandbreite von Verhaltensstörungen er auswählen konnte – Drogensucht,
zwanghaftes Renovieren und vieles mehr –, hatte sie keine Klagen.
Jemima konnte sich noch genau an den Tag erinnern, an dem Fionn als Zwölfjähriger, zusammen mit seiner Mutter Angeline, in Pokey angekommen war. Ihre Ankunft hatte die ganze Stadt in Aufregung versetzt. Bisher hatten die Menschen eine Frau wie Angeline mit ihrer berückenden, hohlwangigen, atemlosen Schönheit und mit ihrer Tochter, die ihr Abbild in Klein war, nur im Fernsehen gesehen. (Wegen seiner goldenen Lockenpracht, die ihm bis zu den Schultern reichte, und seinem hübschen Gesicht mit dem Schmollmund dauerte es sechs Monate, bis herauskam, dass Fionn kein Mädchen war.)
Man erzählte sich, dass sie »wegen des Klimas« aus Dublin hergezogen waren. Natürlich hielten alle das für einen Vorwand. Entzog Angeline sich dem Arm des Gesetzes? War sie auf der Flucht vor einem Drogenhändler, den sie verprellt hatte? Denn wer würde wegen des Wetters nach Pokey ziehen? Oder, da waren sich etliche der Unzufriedenen einig, wer würde überhaupt nach Pokey ziehen?
Die Mutter nahm mit ihrer Tochter eine kleine Wohnung hinter einem Wettbüro, aber kaum hatten sie die Tür hinter sich zugemacht, da waren sie schon mit der Miete im Rückstand. Angeline fand Arbeit in einem Pub, verlor sie aber fast umgehend wieder. Sie fand eine andere Arbeit, diesmal in einem Fish-&-Chips-Laden, aber auch die verlor sie innerhalb einer Woche. Ihre Beschäftigung als Putzfrau war ebenso wenig von langer Dauer. Das Problem lag darin, dass Angeline oft »krank« war.
Faul , so dachte man übereinstimmend. Oder betrunken. Eine faule, trunksüchtige Frau aus Dublin. Die sich zu sehr schminkt. Und unsere Männer anmacht.
Und sie hat eine Tochter, die keine ist. Nicht zu vergessen, die Tochter, die keine ist. (Angeline hatte Fionn nie als Mädchen ausgegeben, die Einwohner hatten sich da getäuscht, was ihnen unbehaglich war, und dann ärgerten sie sich.)
Drogen , flüsterte jemand hinter vorgehaltener Hand. Und keinen Vater für den Mädchenknaben. Sie redeten zu gern über Angeline. Endlos, erbarmungslos, sie beobachteten und redeten, redeten und beobachteten und verloren darüber die seltsame Protestantin in ihrem angeberischen Glashaus ganz aus dem Auge. Angelines Schönheit, ihre mit Kajal geränderten Augen, ihre undurchsichtige Vergangenheit – sie war besser als eine Soap Opera.
Niemand mochte es glauben, als sie starb.
Es stellte sich heraus, dass sie ein Emphysem hatte. Ihre Geschichte, dass sie wegen des Klimas nach Pokey gekommen war, entsprach der Wahrheit. Sie war auf der Suche nach frischer Luft, nach Heilung für ihre arme, beschädigte Lunge, doch was sie eigentlich gebraucht hätte, war ärztliche Behandlung. Aber sie war ein zarter, unpraktischer Mensch, einer, der verzweifelt auf Besserung hoffte, ohne zu wissen, wie man Besserung bewirkt, und deshalb hatte sie keine Hilfe gesucht.
Offensichtlich hatte ihr niemand in der Stadt Hilfe angeboten. Aber das wäre auch unmöglich gewesen. Obwohl die Leute bemerkten, dass Angelines Leben ein einziges Chaos war – Fionn ging oft nicht zur
Schule, und im Supermarkt gab es hässliche Auseinandersetzungen, weil Angeline nicht genug Geld hatte –, hätte sie erst dann, wenn sie in vierter Generation in der Gegend lebte, dazugehört. Hart, aber so waren die Regeln.
Die Leute nahmen an, dass Angeline ein unmoralisches Flittchen war, das keine Ahnung hatte, wer der Vater ihres Kindes war, aber auf Fionns Angaben hin reichte ein Anruf von der Polizei in Pokey, um Pearse Purdue ausfindig zu machen. Ein schöner Mann, urteilte
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