Der hellste Stern am Himmel
überall falsch eingeschätzt. Die Menschen dachten, Polen seien fleißige, aber leidenschaftslose Handwerker. Keiner hatte eine Ahnung, wie Polen wirklich waren.
Jan überschlug seine Finanzen und fühlte sich dann bemüßigt zu sagen: »Andrej, ich bin griesgrämig.«
»Sehen Sie?« Andrej zeigte auf Jans griesgrämige Miene. »Sehen Sie, wie griesgrämig Sie ihn gemacht haben?«
»Griesgrämig«, hörte Andrej jemanden in der Schlange hinter ihnen sagen. »Das ist ein Wort, das man nicht alle Tage hört.«
»Das stimmt, dabei ist es ein hübsches Wort«, sagte eine andere Stimme.
»Es klingt nach dem, was es bedeutet. Griesgrämig!«, sagte die erste Stimme.
»Griesgrämig! Warum das wohl aus der Mode gekommen ist?« Das war eine neue Stimme. Mehrere Personen beteiligten sich jetzt an der Diskussion. »Griesgrämig. Griesgrämig. Griesgrämig. Was sagen wir heute denn stattdessen?«
»Sauer.«
»Missmutig.«
»Down. Deprimiert. In einem Loch. Geknickt.«
»Ha, kein Wunder, dass griesgrämig aus der Mode gekommen ist! Der Markt ist von diesen neuen Wörtern überschwemmt worden. Das Gesetz von Angebot und Nachfrage, das bestimmt die Sache.«
»Was ist eigentlich da vorn los mit dem Teddy? Ich verpasse noch meinen Bus«, sagte ein Mann weiter hinten
in der Schlange. »Aber vielleicht wäre das ein Segen. Ein Wochenende mit der Familie, sagen Sie selbst …«
»Ich weiß, genau«, sagte das Mädchen vor ihm. »Down. Deprimiert. In einem Loch.«
»Griesgrämig!«, fügte er hinzu, und alle lachten.
»Ich will aber meinen Bus nicht verpassen«, sagte eine andere Frau. Sie ging nach vorn und sagte: »Er könnte den Teddy doch auf den Schoß nehmen.«
Mr. Larkin schüttelte den Kopf. »Bobo ist zu groß.«
»Ist Bobo der Bär? Na gut, dann könnte der junge Mann doch auf Bobos Schoß sitzen.«
»Das könnte er tatsächlich …«
Andrej winkte Jan, der auf Bobos Schoß saß, zum Abschied zu und formte mit den Lippen stumm den Satz: »Du bist ein Held.« Sobald der Bus abgefahren war, ging Andrej ins Fitnessstudio, wo er siebenundsechzig Minuten lang Gewichte stemmte, dann eilte er nach Hause, um sein Bier zu bewundern. Er rieb sich die Hände in einem Gefühl von Freiheit. Andrej hatte viele Bürden zu tragen: Er verdiente den Großteil des Lebensunterhalts für seine Eltern und seine jüngere Schwester in Gdansk, er wollte Jan beschützen, der das Leben in diesem Land noch schwieriger fand als er selbst, und er hatte angefangen, sich über Rosie und ihre sichere Rückkehr von der Nachtschicht Sorgen zu machen, obwohl sie immer noch nicht mit ihm schlafen wollte. Manchmal hatte Andrej das Gefühl, verantwortlich dafür zu sein, dass die Welt sich drehte. Doch an diesem Nachmittag war er von alldem befreit: Er hatte eine Menge Geld nach Hause geschickt, was eine ständige Last von
ihm nahm; Magdalena war über das Wochenende verantwortlich für Jan; Rosie verbrachte das Wochenende in Cork mit Freundinnen und war außerhalb seines Verantwortungsbereichs; er hatte den Kühlschrank voller Bier, und später am Abend würden seine Freunde kommen. Und das Allerbeste: Der böse Kobold war verreist. Das wusste er, weil seine Reisetasche verschwunden war. Und sein Deospray.
Am Wochenende war sie meistens fort und quälte den Armen Scheißer, aber er gab sich einem winzigen Gefühl der Hoffnung hin, dass die fehlende Reisetasche eine längere Abwesenheit bedeutete.
Nichts, nicht einmal die Bierdose, die sie ihm auf den Küchenfußboden gestellt hatte, damit er darüber stolperte, konnte sein Glück mindern.
SIEBENUNDFÜNFZIG TAGE …
Noch ein paar Dinge, die Lydia verabscheut:
Zeitschriften, die älter als acht Jahre sind
Töpfe, in denen Essen angebrannt ist
Wartezimmer
Den Geruch von verdorbenen Lebensmitteln
Arzthelferinnen
Häuser ohne schnellen Internetzugang
Den Geruch von Gummihandschuhen
Ärzte
Ihren Bruder Murdy
Ihren Bruder Ronnie
Ihren Bruder Raymond
Dr. Buddy Scutt
Häuser ohne jeden Internetzugang, nicht einmal zum
Einwählen.
Anmerkung: Dies ist keine vollständige Liste.
SECHSUNDFÜNFZIG TAGE
Matt und Maeve schoben ihren Einkaufswagen durch das Getümmel in dem Gang mit den Fleischwaren.
»Sonntag Pizza, Montag Lamm«, murmelte Maeve vor sich hin und zählte die Tage an den Fingern ab. »Dienstag und Mittwoch Fisch, Rind am Donnerstag und Freitag Take-away. Und was sollen wir heute essen?«
»Maeve …«
»Was ist?«
»Heute Abend gehen wir aus.«
»Ah.«
»Meine Mutter hat
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