Der hellste Stern am Himmel
braunen Bierdosen und stellte die einzelne Bierdose mitten auf den Küchenfußboden, so dass Andrej, wie sie hoffte, darüber stolpern würde.
Mit plötzlich adrenalinklarem Kopf begann sie, Sachen – Wäsche, Jeans, iPod – in eine Reisetasche zu werfen. Was brauchte sie noch für diese spontane Wochenendreise? Deospray, Zahnbürste, Gesichtstücher … Unten klingelte es; wahrscheinlich jemand von den anderen Wohnungen, der den Schlüssel vergessen hatte. Sie drückte auf den Türöffner.
Im Vorbeigehen sah sie den Computer im Wohnzimmer.
Sollte sie schnell ins Internet gehen? Nur ganz kurz? Der Wunsch war plötzlich fast unwiderstehlich. Nein, keine Zeit. Noch ein Blick ins Badezimmer, für den Fall, dass sie etwas vergessen hatte. Natürlich gab es in Boyne Geschäfte, aber sie hätte vielleicht keine Zeit zum Einkaufen. – Was war das? Ein Klopfen an ihrer Tür? Irkutsk! Sie hätte unten nicht aufmachen sollen, ohne sich zu vergewissern, wer es war. Aber egal, so wie sie gestimmt war, würde sie die Eindringlinge – Mormonen, Politiker – schnell abfertigen. Sie würde sie im Nu die Treppe herunterbefördern, in … wie schnell würde es gehen? … in fünfzehn Sekunden, dachte sie.
Sie riss die Tür auf. »Ich bin eine fromme Christin, gehe nicht zur Wahl und habe kein Geld, etwas zu kaufen.«
Vor ihr stand eine junge Frau – also wahrscheinlich keine Mormonin –, und sie sah wahrhaftig nicht aus wie eine Politikerin. Das Fehlen eines großen, künstlichen Lächelns auf dem Gesicht war der Beweis. Aber vielleicht wollte sie etwas verkaufen. Scheiß-Make-up, vermutete Lydia.
»Ich suche Oleksander«, sagte die Frau.
»Meinen Sie, Sie suchen Erleuchtung?« Die Frau war offensichtlich nicht aus Irland, vielleicht hatte sie das falsche Wort gewählt.
»Nein. Ich suche Oleksander. Einen Mann.«
»Den müssen Sie woanders suchen. Hier gibt es keinen Mann mit diesem Namen.«
»Er ist Ukrainer.«
»Ich kann Ihnen zwei Polen anbieten, wenn Ihnen das hilft.«
»Aber das ist die Wohnung von Oleksander.«
»Es gibt hier keinen Oleksander, und ich habe es eilig.«
Die junge Frau schlüpfte geschickt an Lydia vorbei in das winzige Zimmer. »Er wohnt hier.«
»Das ist mein Zimmer. Ach so! Sie meinen wohl den Mieter davor.« Jetzt fiel ihr ein, dass sie ein paar Briefe, an einen Oleksander Soundso adressiert, gesehen hatte. Andrej hatte sie in der Küche auf einen kleinen Stapel gelegt. »Sie haben mir einen ganz schönen Schrecken eingejagt. Ich dachte schon, Sie seien verrückt.«
»Oleksander ist ausgezogen!«, rief die Frau. »Aber wohin?«
»Ich habe keinen Schimmer.«
»Ich muss mit ihm sprechen. Oleksander ist sexy, ein schöner Mann.«
»Rufen Sie ihn an.«
»Ich habe Nummer gelöscht.«
Lydia sah sie hilflos an und suchte fieberhaft nach einer Lösung, einer Möglichkeit, die Frau loszuwerden, damit sie weiter packen konnte. »Wahrscheinlich kommt er bald zurück, um seine Post abzuholen. Schreiben Sie ihm einen Zettel, dann gebe ich ihm den.«
Sofort fing die Frau an, etwas auf ein Stück Papier zu schreiben. »Ich heiße Viktoriya. Sagen Sie ihm bitte, er soll mich anrufen.«
»Mach ich, mach ich, aber ich muss –«
»Sagen Sie ihm bitte auch, ich habe großen Fehler gemacht. Der Mann vom Landwirtschaftsamt war dumm, und er hatte Geruch von Kühen.«
»Hatte Geruch von Kühen. Verstehe.«
»Sie versprechen, Sie sagen es ihm?«
»Ja, ja, ich verspreche es.«
Aber Viktoriya zögerte, sie schien wohl zu denken, dass Oleksander, von vielen Wollmäusen bedeckt, unter dem Bett hervorkriechen würde, wenn sie lang genug wartete.
»Er ist wirklich nicht hier. Ich muss jetzt gehen. Ich muss mein eigenes Leben auf die Reihe kriegen.«
SIEBENUNDFÜNFZIG TAGE …
»Kommst du mit einen trinken, Maeve?«
Es war nett von ihren Kollegen, dass sie immer wieder fragten, obwohl sie am Freitag nach der Arbeit nie mit ihnen in den Pub kam. »Nein danke, vielen Dank.« Sie lächelte. »Schönen Abend. Bis Montag.«
Maeve hatte jeden Freitagabend einen Termin. Es war ein guter Abend dafür, denn Matt ging dann mit seinem Arbeitsteam auf einen Drink.
Pünktlich um sechs hörte Maeve auf zu arbeiten und radelte durch den hellen Abend in Richtung Süden. Nach acht Minuten wurde ihr plötzlich bewusst, welcher Tag es war. Kaum zu glauben, dass es ihr erst jetzt einfiel, wo sie doch den ganzen Tag mit Daten zu tun hatte. Ein paar Schocksekunden lang ließ sie das Fahrrad rollen, dann überraschte sie
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