Der Henker von Lemgo
waren es, die mich so zugerichtet haben. Meister David ist ein
gütiger Mensch, Margaretha«, versuchte Maria die Schwester zu beruhigen.
Doch ihre Worte
überzeugten nicht. Weiterhin hielt Margaretha den Blick ängstlich auf den
Henker gerichtet und verfolgte lauernd jede seiner Bewegungen. Mit Befremden
sah sie, wie Maria furchtlos ihren kleinen Fuß in den Steigbügel über Davids
Stiefel schob. Als er sich zu ihr herabbeugte und sie sanft um die Taille
fasste, nahm sie allen Mut zusammen und trat entschlossen dazwischen. Auf dem
Pferderücken erschien ihr der Henker weniger gefährlich als sonst, sodass sie
ihrem Unmut nun freien Lauf ließ.
»Du wirst nicht
aufsitzen, Schwester! Der Vater und die Mutter sind in großer Sorge um uns, und
wir werden uns nicht noch mehr versündigen.« Wütend stampfte sie mit dem Fuß
auf und blickte die Schwester herausfordernd an.
Maria spürte Davids
Hand an ihrer Hüfte. Missmutig drehte sie sich nach der krakeelenden Schwester
um. Plötzlich wurde diese unsanft im Rücken gepackt und hastig auf das Pferd
gezogen. Im gleichen Augenblick hörten sie einen gellenden Schrei. Dann sah
Maria das Pferdefuhrwerk quer über den Marktplatz auf sie zu rasen.
Zu spät hatte David
die Gefahr erkannt. Ihm blieb gerade noch Zeit, die beiden Mädchen vor sich in
den Sattel zu heben, dann wendete er schnell den Friesen, damit die Gäule ihn
nicht an der Breitseite erwischten und er notfalls zufassen konnte. Als er dem
Pferd die Sporen in die Flanken schlug, galoppierte das Gefährt polternd neben
ihm her. Er brüllte den Mädchen zu, sich fest an ihn zu klammern, beugte sich
tief aus dem Sattel und griff mutig in die Zügel des Handpferdes.
Als das Gespann kurz
darauf zum Stehen kam, lief dem Knecht auf dem Bock der Schweiß über das
angespannte Gesicht. Er hatte sich die Zügel um die blau angelaufenen Hände
gewickelt und hielt die Gäule breitbeinig gegen die Holzplanken gestemmt.
Während seine Armmuskeln sich unter dem Hemd prall abzeichneten, bäumten sich
die Gäule auf und wieherten schrill. Ihre schweißnassen Flanken zitterten.
Bevor jedoch die Hufe auf dem glitschigen Pflaster Halt finden konnten, sprang
plötzlich ein Weib vom Wagen. Mit auf die beiden Mädchen in Davids Armen
gerichtetem entsetzten Blick rannte die Frau ohne Umschweife auf sein Pferd zu
und umklammerte die Steigbügel.
Davids Brust hob und
senkte sich schwer. Auf den gebräunten Wangen hatten sich vor Anstrengung rote
Flecken gebildet. Das schmale Gesicht mit den grünen Augen kam ihm vertraut
vor. »Catharina?«, entfuhr es ihm überrascht. »Euer Wagemut hätte uns fast das
Leben gekostet!«
Ungeachtet des
Henkers, der von oben mit gerunzelten Brauen auf sie herabschaute, hatte
Catharina Rampendahl nur Augen für ihre Kinder. Während sie sich die Tränen aus
dem Gesicht wischte, griff sie nach den Füßen der Mädchen und wollte sie vom
Pferd zerren.
»Was hast du mit
meinen Kindern gemacht, du Unhold?«, kreischte sie hysterisch und boxte wie
irre gegen seine kräftigen Waden. »Gib sie mir zurück, David!«, flehte sie
dann.
Doch das Gesicht des
Henkers verfinsterte sich. Energisch stieß er sie mit dem Fuß vor die Brust,
sodass sie unsanft rücklings auf der Erde landete und einen Teil ihrer prallen
Schenkel entblößte. Einen Moment schien es, als ergötze er sich an ihren
Rundungen, doch für weibliche Reize war jetzt nicht die Zeit.
»Mäßigt Euch,
Weib!«, brüllte er. Seine Geduld war am Ende. Er packte die beiden Kinder an
den Haaren, als sie im Begriff waren, vom Pferd zu klettern. Erschrocken
kreischten die Mädchen auf.
Catharina hatte sich
bereits wieder erhoben. Sie kannte Davids wildes Temperament und bereute ihren
Unmut. Um ihn zu besänftigen, sank sie demütig vor ihm auf die Knie und
umfasste mit zitternden Händen seine Steigbügel: »David, hast du vergessen, was
uns beide verbindet? Bei der Sünde, die wir auf uns geladen haben, verschone
meine Kinder. Nimm mich dafür! Wenn du es befiehlst, werde ich dir auch zu
Willen sein. Mach mit mir, was du willst, aber gib mir meine Kinder zurück.«
Verwirrt zappelte
Maria im Griff des Henkers. Bei jedem Wort Catharinas schloss sich dessen Faust
fester um ihren Haarschopf. Ängstlich hielt sie sich mit den Händen an seinem
Handgelenk fest, während sie verständnislos ihre Mutter anblickte.
»Mutter!«, schrie
sie. »Mutter, bei Gott, was bedeuten deine seltsamen Worte?«
Catharina suchte
nach einer Erklärung für das Kind.
Weitere Kostenlose Bücher