Der Herodes-Killer
gefasst, damals hatte man wohl den Verdacht, es wäre ein Schuljunge gewesen. Einige Schuljungen wurden verhört, aber keiner wurde des Mordes an Gwen angeklagt. Ich glaube, das hat Isobel nur noch tiefer deprimiert.»
Mrs. Nicholas verstummte.
«Hatte Gwen einen mittleren Namen?», fragte Bellwood.
«Einfach nur Gwen Swift.»
«Sie waren uns eine riesige Hilfe, Mrs. Nicholas. Vielen Dank.» Bellwood reichte Mrs. Nicholas ihre Karte. «Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, rufen Sie mich bitte sofort unter dieser Nummer an.»
«Achten Sie darauf, dass Sie die Tür beim Hinausgehen ordentlich zumachen. Wissen Sie, diese Straße zieht Mörder magnetisch an.»
Im Flur griff Rosen im Hinausgehen nach seinem Handy, und Bellwood schloss die Haustür mit einem beruhigenden Rumms.
Noch auf der Vortreppe wählte Rosen eine Nummer.
«Wen rufen Sie an?», fragte Bellwood.
«Im Archiv, ich brauche Gwen Swifts alten Fall», antwortete Rosen.
Auf dem Weg durch den Vorgarten nahm Bellwood ihr Handy heraus.
«Und wen rufen Sie an?», fragte Rosen.
«Das Jugendamt, wir müssen die Pflegekinder ermitteln.»
«Ich wollte Sie gerade darum bitten.»
«Das hatte ich mir gedacht», meinte Bellwood.
Rosens Handy läutete, aber er nahm noch nicht ab.
«Das ist wohl der schlimmste Fall, mit dem ich es je zu tun hatte», sagte er.
Das Handy läutete weiter, während Wolken vor die Sonne zogen.
«Carol?»
«Ja?»
«Es ist gut, Sie an Bord zu haben.»
Sie nickte und wandte sich von Rosen ab, konnte aber nicht verheimlichen, dass ein Lächeln über ihr Gesicht huschte.
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16
Zweieinhalb Stunden und mehrere Anrufe später übersandte das Jugendamt endlich die Liste der zwölf langjährigen Pflegekinder. Zusammen mit den Namen traf eine E-Mail mit den letzten bekannten Kontaktdaten der zwölf ein, und außerdem das verbindliche Versprechen, die Namen der Kurzzeitpflegekinder zusammenzustellen. Die Kontaktdaten für die zwölf reichten bis Mitte der 1970er Jahre zurück und endeten Anfang der 1980er Jahre.
Carol blickte sich in der Ermittlungszentrale um und sah Harrison, der verbiestert auf seinen Laptop-Bildschirm starrte, neben sich einen Stapel mit Ausdrucken seiner Recherche über Alessio Capaneus.
Während sie die obligatorische Aufgabe in Angriff nahm, die Telefonnummern, die sie bekommen hatten, anzurufen, beobachtete sie, wie Harrison zu Rosens Schreibtisch ging, um dort die Capaneus-Ausdrucke abzulegen. Harrison blieb stehen und beäugte die Schreibtischplatte.
Er nahm das gerahmte Foto von Rosens Frau in die Hand und lächelte es blöde an. Bellwood sah zu und widerstand dem Drang, Harrison zu sagen, er solle es wegstellen.
«Stimmt es, dass sie in der Klapse war?», fragte Harrison.
«Wer?»
«Rosens Frau. Ich habe ein Gespräch in der Kantine mit angehört, als ich hier auf dem Revier gerade dazugestoßen war.»
Bellwood wollte dieses Gespräch mit Harrison nicht führen, aber er kannte bereits ein paar Bruchstücke, und so beschloss sie, an das Gute in ihm zu appellieren, falls es so etwas überhaupt gab.
«Ich kenne die Einzelheiten nicht, Robert, aber ja, ihre Nerven waren angegriffen. Jetzt geht es ihr wieder gut. Haben Sie auch gehört, warum sie krank geworden ist?»
«Nö.»
«Die Rosens hatten vor einigen Jahren ein kleines Kind. Es hieß Hannah. Es ist an plötzlichem Kindstod gestorben.»
«Oh.» Er wirkte vollkommen ungerührt, und Bellwood wünschte, sie hätte den Mund gehalten.
Auf dem Rückweg zu seinem eigenen Schreibtisch kam Harrison an Bellwood vorbei. Ihr Gesicht war verschlossen, der Blick gesenkt, ihre Aufmerksamkeit ganz auf das Telefon gerichtet.
«Sieht ganz schön tough aus, die gute alte Mrs. Rosen», meinte Harrison. «Die hat bestimmt Haare auf den Zähnen.»
Bellwood erwiderte nichts, speicherte aber alles, Wort wie Tat, genau in ihrem Gedächtnis ab.
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17
Im Gedächtnis.
Der Herodes-Killer saß auf dem kalten Steinboden seines Kellers. Das blaue Dämmerlicht vermittelte ihm das Gefühl, Hunderte von Metern unter der Wasseroberfläche zu sein, und die Stille, die seinen Kopf ausfüllte, fühlte sich an, als drückte ein ganzer Ozean auf ihn nieder.
Er betrachtete den Keller, seine Türen und verstärkten Wände. Hätte er die Räume selbst entworfen, hätten sie nicht besser für seine Zwecke geeignet sein können. Der Immobilienmakler, der ihm das Haus verkauft hatte, hatte ihn nur zögernd über den Keller aufgeklärt.
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