Der Herodes-Killer
an einen Augenblick vor zwölf Jahren, als die Dunkelheit im Lauf einer Pistole nur Zentimeter vor seinem Gesicht verharrt hatte.
«Falls sie entführt worden ist …», sagte Baxter.
«Falls?»
«Ich muss Sie das fragen, David», überging Baxter die Unterbrechung. «Hat sie sich in letzter Zeit in ihrer Haut wohl gefühlt?»
«Hat sie eine Psychokrise bekommen und ist weggelaufen? Ist es das, was Sie wissen wollen?»
«Das habe ich nicht gesagt.»
Es war schon nach zwölf, zwei Stunden seit dem Fehlalarm in der Picardie Road. Seitdem war Sarah verschwunden.
«Was für Anweisungen haben Sie gegeben?», fragte Baxter. «David?»
«Carol Bellwood leitet die Ermittlungen im St Thomas’s. Corrigan und Feldman sichten das Material der Überwachungskameras aus dem Krankenhaus. Beamte befragen jeden, der im ersten Stock, Nordflügel, oder in der Nähe davon einen Termin hatte.»
Baxter tätschelte Rosens Ärmel. Der blickte nicht von dem Foto Sarahs auf seinem Schreibtisch auf.
«Wir haben bis zu drei Tage …», begann Baxter.
«Glauben Sie das?»
«So war es bisher, gehen wir einmal davon aus.»
Das Telefon auf Rosens Schreibtisch klingelte. Er setzte sich auf und riss den Hörer an sich.
«Ja?»
«Hier ist Corrigan. Chef, hören Sie, wir haben etwas auf den Überwachungskameras gefunden. Es ist eine kurze Szene, die von zwei Kameras aufgezeichnet wurde, einer im Inneren und einer draußen.»
«Kommen Sie zur Sache, Jeff.»
Rosen stand auf, und das Gemurmel ernster Stimmen in der Einsatzzentrale brach ab.
«Es ist meine Frau?»
«Ja. Es tut mir leid. Ja, es sieht so aus.»
Rosen spürte, wie ihm die Gesichtszüge entgleisten, als seine letzte Hoffnung dahinschwand.
«Erzählen Sie mir, was auf den Aufnahmen passiert.»
Rosen ging unruhig auf und ab und hörte ungeduldig zu.
«Ein Krankenwagen hält vor dem Haupteingang, aber es ist ein etwas älterer Krankenwagen. Er steht zehn Minuten da. Eine Frau wird im Rollstuhl von einem Mann, der eine ganz normale Sanitäteruniform trägt, aus dem Haupteingang geschoben.»
«Ist es Paul Dwyer?»
«Ja, er sieht aus wie Paul Dwyer.»
«Und die Frau ist meine Frau?»
«Ja, es ist Ihre Frau. Der Sanitäter verfrachtet sie hinten in den Krankenwagen, schließt die Türen, steigt vorne ein und fährt los. Er fährt in Richtung Lambeth Palace Road.»
«Okay, Jeff», sagte Rosen. «Bringen Sie die Aufnahmen sofort hierher.»
«Johnny Mac ist schon unterwegs.»
«Änderung des Plans.» Er sprach mit Jeff Corrigan, blickte Baxter aber direkt an. «Wir veröffentlichen Flints Foto so schnell wie möglich, und diese Aufnahmen der Krankenhausüberwachungskameras geben wir ebenfalls frei. Aber keiner soll direkt an einen der beiden Männer herantreten. Corrigan, sind Sie noch da?»
«Ja?»
«Wie hat sie ausgesehen? Meine Frau?»
«Sie schien zu schlafen. Sie hat friedlich ausgesehen.»
Rosen fragte sich, ob Dwyer wie bei seinen anderen Opfern Pentothal verwendet hatte.
«War sonst niemand in der Nähe?»
«Dutzende von Leuten kamen oder gingen, aber die Szene wirkte nicht merkwürdig. Abgesehen von dem etwas zu alten Krankenwagen, aber das ist nicht so offensichtlich … Vermutlich hat einfach niemand darauf geachtet.»
Ein Krankenwagen? Plötzlich erinnerte sich Rosen an etwas. Als er vom Krankenhaus weggefahren war und Sarah ganz allein in Dwyers Hände gegeben hatte, hatte er einen Krankenwagen gesehen, der aus der Dodson Street einbog. Das war nur wenige Meter vor dem Wagen gewesen, in dem er selbst gesessen hatte, aber die Ambulanz war in eine andere Richtung gefahren.
Hätte ich die Bilder Dwyers früher freigegeben , verhöhnte ihn ein Gedanke, wäre er vielleicht, nur vielleicht, jemandem im Krankenhaus aufgefallen …
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58
Am Morgen von Julias Entführung hatte Phillip Caton sein Geschäftshandy, auf dem er zu allen Tages- und Nachtzeiten erreichbar war, abgeschaltet.
Als es zum letzten Mal geläutet hatte, um sieben Uhr früh, hatte Phillip den Anruf angenommen, halb aus Gewohnheit, halb aus purer Verzweiflung. Es war ein Notfall, eine Kinderkrippe mit Rohrbruch, die dringend einen Klempner brauchte. Als Phillip sich stockend entschuldigte, dass er den Auftrag nicht annehmen könne, blieb die Frau am anderen Ende der Leitung auf eine sanfte und freundliche Art beharrlich. Sie müsse an all die Babys denken, all die Kleinkinder mit ihren Müttern und Vätern, und dann hielt sie inne und setzte zwei und zwei zusammen. Sie
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