Der Herr Der Drachen: Roman
ich weiß es«, sagte Mailun bitter. »Karnit hat uns immer gehasst, Shila. Das ist dir bekannt.«
Shila gab keine Antwort. Sie konnte nicht leugnen, was Mailun da sagte. Karnit hatte jeden verabscheut, der nicht von reiner Wüstenabstammung war, und stets hatte er Haldane wegen der Wahl seiner Gefährtin gering geschätzt. Aber würde er so weit
gehen? Würde er einen seiner eigenen Clansmänner ermorden? Etwas sagte Shila, dass da mehr im Spiel war als Karnits Machenschaften. Die Führer regten sich im Äther und schmiedeten irgendwelche Pläne.
»Wissen die anderen Abgesandten, die zu der Zusammenkunft geschickt wurden, dass Jared da war?«, fragte Irissa.
Shila sah die jüngere Frau an. »Ich weiß es nicht. Aber wenn sie zurückkehren, werden sie feststellen, dass Jared nicht hier ist, und sie werden misstrauisch werden. Alle wissen, wie nah er Tallis stand. Die beiden haben sich den Eid der Bruderschaft geschworen, als sie Kinder waren. Niemand wird glauben, dass Jared irgendwo anders hingegangen ist, sondern sie werden wissen, dass er sein Gelöbnis erfüllt.«
Die drei Frauen schwiegen; Mailun rührte langsam in dem Nonyu-Topf und starrte in die dunkle Flüssigkeit. Sie alle wussten, was das hieß. Das Blut eines Clansmannes zu vergießen, verstieß gegen ihre Gesetze. Jeder, der sich dieses Vergehens schuldig machte, wurde verstoßen, und jeder, der einem Verstoßenen half, würde das gleiche Schicksal erleiden. Wenn Karnit und seine Männer heimkehrten, würde der Kreis keine andere Wahl haben, als Tallis in aller Form zum Ausgestoßenen zu erklären. Und welches Urteil würden sie dann über Jared sprechen?
Irissa saß schweigend da und spielte an den Ecken ihres Kissens herum. Ihr Gesicht war voller Zorn. Dann schließlich schaffte sie es nicht mehr, an sich zu halten, und sie sprang auf und lief in der Höhle auf und ab, während sie sich immer wieder ihren leeren Becher in die Handfläche schlug.
»Was soll das denn alles?«, brach es aus ihr heraus. »Was für einen Plan haben die Führer für meinen Bruder? Meine Mutter hat seit seinem Verschwinden aufgehört zu sprechen, und mein Vater verbringt all seine Zeit draußen im Sand mit Jagen und Sammeln. Und nun sagst du, du hättest Jared am Leben gesehen und dass er das Blut seines eigenen Clans vergossen hat!« Sie warf ihren Becher gegen die Wand, wo er zerbrach. »Helfen uns die Führer oder drängen sie uns in unser eigenes Verderben? Sind wir denn
für sie nichts als Sand und Staub?« Wütende Tränen stiegen ihr in die Augen.
Shila erhob sich langsam und sah zu der größeren Frau auf. »Ich habe keine Antworten für dich, Irissa. Aber dies sollst du wissen: Ich bin zuerst zu dir und Mailun gekommen, weil ich verstehe, dass ihr beiden Frauen von allen im Clan am meisten von den Ereignissen betroffen seid. Sobald die Sonne aufgeht, muss ich dem Rest des Kreises berichten, was ich gesehen habe, aber sie werden keine Entscheidung treffen, bevor Karnit zurück ist. Ich habe keinen Zweifel daran, dass sie Tallis verstoßen werden.« Ihr Blick wanderte zu Mailun. »Karnit wird dafür sorgen, und es wird nichts mehr für mich zu tun bleiben. In Anbetracht des Todes dieser Clansmänner werden meine früher erhobenen Einwände keine Rolle mehr spielen.« Sie wandte sich an Irissa. »Für Jared könnte es noch Hoffnung geben. Ich werde ihnen sagen, dass mir die Führer aufgetragen haben, ihn auszuschicken. Es wird ihnen schwer fallen, mit diesem Wissen sein Schicksal zu besiegeln.«
»Aber die Entscheidung wird nicht fallen, ehe die Abordnung zurückgekehrt ist.« Mailun fixierte Shila mit den Augen.
»Ja«, bestätigte Shila. »Ich weiß, dass diese Nachrichten schwer für euch sind. Ich wäre nicht überrascht, wenn ihr euch beide dafür entscheiden würdet, zum Tempel des Kaa zu pilgern, um eurem Schmerz Linderung zu verschaffen.« Sie sah Mailun eindringlich an.
»Es ist ein langer Weg, und viele Pfade könnten eure Reise kreuzen.«
Mailuns Gesichtsausdruck blieb unverändert, aber Shila wusste, dass ihr die Wichtigkeit dieser Worte nicht entgangen war. Sie griff nach Mailuns Hand und drückte sie fest. »Danke für den Nonyu, Mailun.« Ihr Blick huschte kurz zu Irissa, dann ging sie so leise, wie sie gekommen war, und ließ den Webvorhang wieder hinter sich zuklappen.
Noch einige Zeit, nachdem Shila verschwunden war, saß Mailun schweigend da und starrte in die flackernde Flamme der Lampe.
Irissa lief in der kleinen Höhle herum und
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