Der Herr Der Drachen: Roman
Gesicht. Ihre Ohren rauschten, und in ihrem Mund schmeckte es nach Blut. Er lag so schwer auf ihr, dass sie keine Luft mehr bekam. Und dann machte er sich an ihrer Hose zu schaffen.
Mit einem Mal war alles zu Ende. Keuchend sah Shaan Balkis, der breitbeinig über ihnen beiden stand. Er hatte den Mann an den Haaren gepackt und seinen Kopf in den Nacken gezogen, sodass er ihm ein Messer an die Kehle halten konnte. Einen Moment lang bewegte sich niemand.
»Also gut«, sagte Balkis leise. »Du wirst jetzt langsam aufstehen und mir keinen Grund geben, dir den Hals aufzuschlitzen.« Er riss den Mann an den Haaren. »Verstanden?«
»V…verstanden«, wimmerte der Bauernbursche, der wie erstarrt auf Shaan lag.
»Nun denn.« Balkis trat einen Schritt zurück und entfernte sich ein Stück, das lange Messer noch immer wie beiläufig vor sich ausgestreckt. »Hoch mit dir.« Er machte eine Bewegung mit der Klinge. Langsam löste sich der Mann von Shaan, die beinahe ohnmächtig wurde, als sich das Gewicht von ihr hob. Sie rollte sich zur Seite, weg von den Männern, bedeckte mit zitternden Händen ihre Brüste und lag reglos da und keuchte.
»Wie heißt du?«, hörte sie Balkis fragen.
»N…Norad«, stotterte der junge Mann.
»Nun, Norad. Du verschwindest jetzt, und siehst zu, dass du mir nicht noch einmal unter die Augen kommst.«
»Ja.«
»Sofort!« Balkis hob die Stimme, und Shaan hörte schwere Schritte, die sich entfernten.
Sie bewegte sich nicht. Zwar konnte sie spüren, dass Balkis nach wie vor dort stand und sie beobachtete, aber sie fühlte sich noch immer außerstande, wieder auf die Beine zu kommen.
»Steh auf.« Seine Stimme war hart, und der Tonfall war der gleiche, mit dem er eben mit dem Bauernjungen gesprochen hatte.
Shaan ignorierte ihn. Bitte geh weg , dachte sie.
»Steh auf«, wiederholte Balkis, und sie konnte Schritte hören. Sie bewegte sich, ehe er sie berühren konnte, rollte unter seinen Händen weg und rappelte sich mühsam auf. Als sie stechende Schmerzen in Rücken und Rippen durchfuhren, zuckte sie zusammen und taumelte, denn ein Schwindelanfall überkam sie wie
eine Welle. Balkis machte keinerlei Anstalten, ihr zu Hilfe zu kommen. Sie versuchte, sich mit den Resten ihres zerrissenen Hemdes zu bedecken, während sie den Septenführer aus den Augenwinkeln beobachtete. Er stand ungerührt da und sah ihr zu. Die Umrisse seiner großen Gestalt wurden vom Licht der Straße schwach erleuchtet; die feinen Locken bildeten einen hellen Kranz um seinen Kopf. Sein Gesicht konnte sie nicht erkennen.
»Du solltest vorsichtiger sein«, sagte er. Dann steckte er sein Messer in die Scheide, drehte sich um und ging davon. Sie schaute ihm nach, bis er mit der Dunkelheit verschmolzen war.
13
E r kroch lautlos in die Kuppel und lauschte, die Augen geschlossen und eine Hand flach auf den warmen Stein gepresst. Die Nacht war dunkel, und der Mond stand hoch am Himmel - ein fahles Licht in der sternenübersäten Dunkelheit. Er war wohlweislich hierhergekommen. Es gab Dinge, die noch erledigt werden mussten, Dinge, die er noch zu finden hatte, ehe er sich vollständig fühlen würde. Er konnte es nicht riskieren, dass die Männer mit den schwarzen Hemden jetzt schon auf ihn aufmerksam würden. So schloss er die Augen und lauschte, während er sich auf die Lebenden konzentrierte, die hoch über ihm atmeten.
Er konnte sie spüren, jeden Einzelnen von ihnen. Ihr Blut rief nach ihm, aber nur schwach: ein Flüstern über ein endloses Meer hinweg. Sie waren so jung, und ihr Blut war kalt. Eine einzelne Träne löste sich aus seinem Auge. Bald würde er ihnen helfen, sich zu erinnern. Er würde ihnen dabei behilflich sein, sich der Freude, der Wahrheit zu entsinnen. Noch dösten sie, aber selbst im Schlaf konnte er sie erreichen; er war gut darin, denn er hatte zwei Jahrtausende Zeit zum Üben gehabt.
Seine Finger krümmten sich und kratzten bei diesem Gedanken über die Wand. So viel Zeit war ihm genommen, ihm gestohlen worden! Sein Gesicht wurde eine unbewegte Maske des Zorns; er spürte die Kälte dieses Ortes, dieses Nichts, und er hörte die Stimmen, so nah und doch unmöglich zu erreichen. Das jedenfalls glaubten sie. Er hatte Verbindung zu jemandem aufgenommen. Er hatte sie gespürt, durch die Mauern seines Gefängnisses hindurch. Sein Eigen, sein Blut. Sie hatte ihn befreit, auch wenn sie es nicht wusste. Jetzt konnte er sie fühlen; er flüsterte ihr etwas in der Dunkelheit zu. Noch wusste er nicht, wo
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