Der Herr Der Drachen: Roman
dabeistehen und zusehen, wie man ihn in eine Zelle schleift.«
Torgs Gesichtsausdruck verdüsterte sich, aber das war Shaan egal. Er wusste, wie es auf den Straßen zuging, denn er selbst hatte sie ja von dort weggeholt.
»Ich konnte ihm nicht einfach den Rücken zukehren, Torg. Ich konnte es einfach nicht.« Mit einem Achselzucken lehnte sie sich zurück. Sollte er doch denken, was er wollte. Sie hätte Tamlin ebenso wenig seinem Schicksal überlassen können, wie sie zum Mond springen könnte. Torg nickte und musterte sie einen Moment lang, die Lippen geschürzt.
»Du konntest es nicht, aber das nächste Mal musst du es.« Er brach weitere Schoten. »Ich kann hier niemanden in meinem Gasthaus wohnen lassen, der mit Dieben gemeinsame Sache
macht. Ich will nicht die Aufmerksamkeit des Buckligen auf mich ziehen.«
»Ich mache nicht mit ihnen gemeinsame Sache«, protestierte Shaan, aber sein Ton hatte sie beunruhigt. Würde er sie rauswerfen? »Davon abgesehen, arbeitet Tamlin nicht für ihn.«
»Woher willst du das wissen?«
»Er hat es nicht getan, als …«
»Als du noch auf der Straße gelebt hast?« Torg schüttelte den Kopf. »Shaan, das ist Jahre her. Er könnte sich inzwischen verändert haben, was sogar sehr wahrscheinlich ist, und das weißt du auch ganz genau. Viele Dinge sind jetzt anders, und immer mehr Straßenbanden unterstehen ihm. Und ist dir nicht aufgefallen, wie viele Glaubenstreue in letzter Zeit in der Stadt zu finden sind? Sie beobachten uns.«
Shaans Widerspruch erstarb auf ihren Lippen. Er hatte recht, und vielleicht gehörte sie ebenfalls zu denen, die ausgespäht wurden. »Ich werde versuchen, vorsichtiger zu sein.« Sie erhob sich von der Bank und trug ihren Teller zum Waschtrog.
»Ich kümmere mich jetzt um die Fische. Wenn es dunkel wird, bin ich zurück.«
»Gut.« Trog kippte die hellgelben Erbsen in eine Schüssel. »Sieh zu, dass du es auch wirklich bis dahin schaffst. Ich brauche dich heute zum Bierausschenken. Ich rechne mit guter Kundschaft, denn ein Handelsschiff aus Torin hat angelegt.«
Shaan wurde das Herz schwer. Ein Schiff aus Torin bedeutete, dass sie auf den Beinen sein würde, bis der Mond am Himmel zu verblassen begann. Die einfachen Männer aus den Freilanden hatten eine große Vorliebe für ihr Bier und ihre Frauen. Sie seufzte und griff nach ihrem Fischspeer, dem Messer und einem kleinen Schnürbeutel.
Als sie hinaus in den Sonnenschein des späten Nachmittags trat, traf sie Tuon, die gerade durchs Tor hereinkam. Ihr blondes Haar war streng zurückgebunden, und auf ihrer Wange prangte ein roter Fleck. Sie ging sehr langsam und nickte Shaan nur knapp zu, als sie sie entdeckte.
»Tuon!« Shaan umarmte sie. »Ist alles in Ordnung mit dir?«
Sie warf ihr ein schwaches Lächeln zu. »Ja, mir geht es gut.«
»Wo hast du denn gesteckt?«
»Du weißt doch ganz genau, dass du mich das besser nicht fragen solltest«, antwortete Tuon tadelnd, aber ihre Stimme war kraftlos.
Shaan versuchte, sich die gerötete Stelle in Tuons Gesicht genauer anzusehen. »Was ist geschehen?«
Tuon fuhr zurück. »Nichts, es ist nichts. Obwohl ich dich das Gleiche fragen sollte.« Sie fasste Shaan unters Kinn und besah sich den Riss über ihrem Wangenknochen.
»Ich bin beim Arbeiten in der Anlage gestürzt«, log Shaan.
»Tatsächlich?« Tuon musterte sie. »Das sieht mir eher wie die Handschrift eines Mannes aus. Was ist wirklich geschehen?«
Shaan schüttelte den Kopf. »Nichts. Ich muss jetzt Fische angeln gehen.« Sie wollte zum Tor gehen, doch Tuon packte sie am Arm.
»Warte. Hat Rorc dir eine Position bei den Glaubenstreuen angeboten? Stammt deine Verletzung daher?«
»Nein!« Sie riss sich los. »Ich würde auch gar nicht für sie arbeiten.«
»Er hat es doch getan, nicht wahr?« Tuons Gesicht war hart. »Ich wusste es. Und hast du eingewilligt? Was verlangt er von dir zu tun?«
Ihre Stimme klang jetzt laut und aufgebracht. Shaan schaute sich um und antwortete im Flüsterton. »Ich will nicht für ihn arbeiten, und ich werde das auch nicht tun. Dieser Schnitt …« Sie zögerte. »Er stammt aus einem Wirtshaus. Ich hatte zu viel Wein getrunken und bin gestolpert, das ist alles. Mit Rorc oder den Glaubenstreuen hat das nichts zu tun.«
»Du hast ihn abgewiesen?«
»Ja. Ich habe dir nichts gesagt, weil ich wusste, dass du dir dann Sorgen machen würdest, dass du denken würdest …«
»Dass er dich das tun lässt, was ich für ihn erledige«, beendete Tuon ihren
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