Der Herr Der Drachen: Roman
lachte meckernd.
Das Kind war bleich und dürr mit den fiebrigen Augen einer Süchtigen. An der Hand, die sie Shaan entgegenstreckte, waren die Finger zu einer Klaue versteift. Sie mochte vierzehn Jahre alt sein, vielleicht noch jünger. Dunkle Schatten lagen unter ihren Augen, und ein süßer, Übelkeit erregender Geruch ging von ihr aus. Vermutlich würde sie noch vor Anbruch der nächsten Jahreszeit tot sein. Mühelos schüttelte Shaan sie ab und ging rasch weiter, ehe das Mädchen sie ein zweites Mal zu fassen bekommen konnte.
Die Führerin sollte irgendetwas dagegen unternehmen , dachte Shaan verbittert, aber wie immer schienen nur die Reichen wichtig zu sein. Oder vielleicht war es auch die Vorliebe einiger Reicher für diese Droge, die die Stadtführer dazu veranlasste, sich nicht allzu intensiv mit dem Problem zu befassen.
»Na los, komm schon heraus!« Die knurrende Stimme eines Mannes ließ sie aufblicken.
Ein schwarzhaariger Bursche taumelte rückwärts durch die geöffnete Tür eines Gasthauses, der ›Stolzen Faust‹. Er trug kein Hemd und hielt die Hände in Brusthöhe geballt vor sich. Als er die johlenden Gaffer sah, die sich um den Eingang versammelt hatten, machte er einige vorgetäuschte Schwinger in ihre Richtung.
Dann brüllte er wieder nach jemandem, der sich noch im Schankraum befand. »Komm schon, du hurenverliebter Ziegenbock! Na los doch!« Die letzten Worte waren ein Knurren gewesen, und die dicke Schicht Fett in der Mitte seines Leibes bebte, als er herumtänzelte und schwankte.
»Töte ihn!« Eine schmutzige Frau kreischte und stolperte Shaan vor die Füße. Sie stank erbärmlich nach Urin und schalem Bier.
Shaan wich zurück und machte einen kleinen Bogen, um so an dem dicken Mann vorbeizugelangen. Sie hatte beinahe das Ende der Straße erreicht, als sie eine Frau in einer vor ihr liegenden Gasse schreien hörte, gefolgt vom Krachen splitternden Glases. Sie verlangsamte ihren Schritt und sah sich um. Alle waren auf den anderen Kampf konzentriert. Wieder ertönte ein Schmerzensschrei und wurde sofort erstickt. Auch wenn Shaan sich selbst sagte, dass es eine schlechte Idee war, bewegte sie sich vorsichtig bis zum letzten Gebäude und spähte um die Ecke.
Es war schummrig in dieser Gasse, nur ein kleiner Strahl der Nachmittagssonne drang noch durch die Häuserdächer über ihr. Staubflocken tanzten im weichen Licht, und Shaan erkannte einen Mann, der eine Frau gegen eine Wand drückte. Ihr Gesicht war abgewandt und lag im Schatten, und der Mann flüsterte ihr heiser etwas ins Ohr, eine Hand an ihrer Kehle, die andere auf ihren Rücken gepresst. War das ein Streit zwischen Liebenden oder eine Verhandlung über den Preis von Crist? Es wäre besser, sich nicht einzumischen. Der Mann bewegte sich, und ein Lichtstrahl brach sich auf der Klinge eines Messers, das er der wimmernden Frau gegen den Hals drückte.
Shaans Herz machte einen Satz. Sie hätte sofort weitergehen sollen, aber Zorn flammte in ihr auf und stoppte sie. Schon wieder ein Mann in einer Gasse und eine Frau allein - dieses Mal nicht. Leise nahm sie ihre Tasche von der Schulter und stellte sie auf dem Boden ab, griff nach ihrem Speer und schlich sich in die Gasse. Sie hielt sich im Schatten, als sie sich dem Mann von hinten näherte, holte tief Luft, drehte mit beiden Händen den Speer um und ließ den Griff mit aller Kraft auf das Handgelenk des Mannes schnellen. Ein Krachen war zu hören, und mit einem schmerzerfüllten Knurren ließ der Bursche sein Messer fallen, wirbelte zu ihr herum und stieß die Frau grob von sich weg.
Shaan machte einige Schritte zurück in Richtung der gegenüberliegenden Mauer und drehte den Speer wieder zurück, sodass
sie dem Mann nun die Spitze entgegenstrecken konnte. »Verschwinde. Das nächste Mal erwischt dich diese Seite.«
»Hure!« Er rieb sich das Handgelenk. »Was willst du?« Er warf einen Blick auf den Speer und lachte rau. »Das ist alles, was du hast, Mädchen?«
Shaan schluckte. Er war größer, als sie erwartet hatte, und drahtig. Eine lange Narbe zog sich fleischig von der Stirn bis zum Kinn.
Mit einem Mal machte er einen Satz auf sie zu. Shaan versuchte auszuweichen, aber er bekam den Speer zu fassen und entwand ihn ihrem Griff. »So, jetzt sind wir gleichauf!« Damit warf er die Waffe hinter sich. »Komm schon, Mädchen. Angst?« Er bleckte die Zähne wie ein Hund. »Ich revanchiere mich, und dann werde ich vielleicht noch ein bisschen Spaß haben!«
Shaan verzog
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