Der Herr Der Drachen: Roman
sie mit einem Stöhnen auf eine lange, niedrige Bank voller Kissen sinken. Nilah landete halb auf dem Möbelstück, halb rutschte sie an der Seite wieder hinunter und wurde ohnmächtig. Shaan nahm Nilahs Beine, hob sie hoch und bettete sie auf die Kissen, dann richtete sie sich schwerfällig auf und verzog das Gesicht, als sie das Brennen ihrer Muskeln spürte.
Sie befanden sich in einem großen, warm erleuchteten Raum. An drei Seiten reichten Regale mit Schriftrollen, Aufbewahrungsbehältern und seltsam geformten Schnitzereien vom Boden bis zur Decke. Ein großer Schreibtisch thronte vor den Regalen, und ein bequem aussehender Sessel stand mit Blickrichtung zu den Glastüren, die hinaus in einen dunklen Garten führten. Zerborstenes Glas bedeckte den Boden neben dem Sessel.
Shaan fragte sich, wer der Besitzer dieses Hauses sein mochte,
aber die Möglichkeit, lange genug zu bleiben, um das herauszufinden, behagte ihr ganz und gar nicht. Nilah schien stabil zu sein und atmete noch immer. Und wenn sie jetzt ginge, würde Shaan demjenigen, der hier lebte - wer auch immer das sein mochte -, nicht erklären müssen, was sie hier tat und was Nilah zugestoßen war. Nicht, dass sie das tatsächlich wüsste. Shaan bewegte sich zur Tür, aber der Klang von herbeieilenden Schritten hielt sie auf.
Ihr Magen zog sich zusammen. Wenn sie nun davonlief, würde derjenige, der sich da näherte, sie für eine fliehende Diebin halten. Sie zögerte zu lange und stand noch immer unbeweglich da, als ein großer, grauhaariger Mann hereinplatzte.
Er machte halt, und einen Moment lang starrten sie sich gegenseitig an.
»Du schon wieder!«, sagte er. »Was machst du hier?«
Es war Morfessa, der Ratgeber der Führerin. Shaan hatte es die Sprache verschlagen, aber dann wanderte sein Blick an ihr vorbei.
»Nilah!« Er hastete zur Bank, kniete sich auf den Fußboden, drehte sanft mit den Händen das Gesicht der jungen Frau zu sich und sagte dann an Shaan gewandt: »Ich dachte, ich hätte die Glocke gehört. Warst du das?«
»Ja.« Shaan starrte ihn wie betäubt an. »Ich habe Nilah zufällig in der Stadt gefunden. Sie hat mich gebeten, sie hierherzubringen. Dann verschwinde ich jetzt besser.« Sie ging zur Tür.
»Nein! Warte.« Morfessa drehte sich zu ihr um, und Shaan stellte verblüfft fest, dass sein linkes Auge grau, aber das rechte tiefbraun mit roten Einsprengseln war.
»Was ist geschehen?«
Sie zuckte die Schultern. »Irgendein Mann hat sie in der Gegend der Diebe angegriffen.«
Morfessa ließ seinen Blick über ihre Hosen aus grobem Stoff, das Hemd und die leere Messerscheide, die an ihr Bein gebunden war, gleiten. »Hast du ihn getötet?«
»Nein! Nilah hat ihn unschädlich gemacht, und ich habe sie hierhergebracht.«
»Wie seid ihr hereingekommen? Hat Prin euch die Tür geöffnet?«
»Nein.« Shaan fragte sich, wer dieser abwesende Prin sein mochte.
Morfessa runzelte die Stirn und sah zurück zu Nilah. »Das ist merkwürdig«, sagte er leise zu Shaan, dann erhob er sich. »Ich muss eine Salbe auftragen. Hilf mir, Nilah zu bewegen.«
»O nein.« Shaan machte einen Schritt zurück. »Ich muss jetzt gehen. Ich soll nämlich noch Fische fangen.«
»Nach Sonnenuntergang?« Er sah durch die Fenster hinaus ins Dunkel. »Du kannst gerne Fisch von mir bekommen, wenn du mir hilfst. Na, komm schon.« Er winkte sie zu sich.
Shaan zögerte. Torg dürfte alles andere als begeistert sein, wenn sie mit leeren Händen zurückkäme, und sie hatte keine Münzen, um etwas Fisch auf dem Markt zu kaufen.
»Also gut.« Sie seufzte, folgte seinen Anweisungen und hob Nilahs Beine, während er ihren Oberkörper nahm. Dabei bemerkte sie eine schwache Spur von Alkohol in seinem Atem. Sie trugen Nilah zwischen sich und schlurften schwerfällig mit ihr aus dem Raum und den Flur hinunter.
»Wie war noch mal dein Name?«, stieß Morfessa hervor, als sie sich durch eine weitere Flügeltür mühten.
»Shaan.«
»Ach, richtig«, sagte er mit einem Nicken. »Ich bin Morfessa.«
»Ja, daran erinnere ich mich.« Shaan half ihm dabei, die junge Frau auf ein schmales Bett zu legen.
»Na, also, das ist gut.« Er ging hinüber zu einigen offenen Regalen und murmelte vor sich hin.
Sie befanden sich in einem Zimmer, aber es schien zugleich, als wäre man in einem Garten. Sie waren von vier Wänden umgeben, doch die Decke war zum Teil offen und gab den Blick frei auf den Nachthimmel. Große, schlanke Bäume waren in einigem Abstand zueinander neben
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