Der Herr Der Drachen: Roman
Ofen. »Nimm dir welche und geh.«
Sie nahm sich zwei schwere, runde Kuchen in der Größe ihrer Handfläche, steckte sich einen in den Mund, griff ihren Schnürbeutel vom Haken an der Tür und machte sich auf den Weg. Während sie das krümelige, süße Gebäck kaute, überquerte sie den Hof und trat hinaus auf die fast unbelebte Straße. Nur wenige Leute waren unterwegs. Ein kleiner Junge, der ihr entgegenkam, zog ein Stück Stoff wie einen Drachen hinter sich her, und eine alte Frau vor ihr mühte sich mit einem Korb in den Händen vorwärts.
Shaan lief die Straße in Richtung Markt hinunter. Ihr blieben noch etwa fünf Stunden, ehe sie in der Anlage sein musste, um dort das Mittagessen zu servieren. Der Junge rannte jauchzend und lachend an ihr vorbei, während er den Stoff hinter sich herflattern ließ. Er grinste Shaan an, die unwillkürlich zurücklächelte. Sie drehte sich um und sah ihm nach, als er weiterhüpfte, und ihre Schritte wurden langsamer. Kommandant Rorc verschwand gerade im Hinterhof des Red Pepino. Ihr Herz machte einen Satz, und sie schlüpfte instinktiv in den Schatten eines Hauses. Was konnte ihn um diese Zeit dort hinführen? Suchte er nach ihr?
Ihr Herz hämmerte gegen ihre Rippen. Einen Moment lang überlegte sie, ob sie umkehren und an der Tür lauschen sollte, aber diese Idee verwarf sie rasch wieder. Vielleicht war er nicht allein, und es war besser, einfach schnell zu verschwinden. Sie machte auf dem Absatz kehrt und hastete davon, um die verwinkelteren Straßen zu erreichen.
Einige Verkäufer waren damit beschäftigt, Markisen aufzustellen und Körbe herauszuschleppen, und in der Luft hing der Geruch von altem Fisch. Sie blieb stehen, um in einem der Läden eine kleine Tüte mit getrockneten Früchten zu kaufen, dann eilte sie weiter und nickte im Vorübereilen den Leuten zu, die sie kannte. Auf dem Weg fielen ihr einige Gesichter auf, die sie noch
nie zuvor gesehen hatte. Ein seltsamer kleiner Mann mit bloßen Füßen und gelblichen Augen saß auf der Stufe zu einem Geschäft, das noch geschlossen war; am Anfang einer Gasse standen Männer und Frauen in einer Gruppe beieinander und unterhielten sich. Sie trugen lange, schmutzige Umhänge über ihrer Kleidung, ihre Haut war sehr hell, und während sie miteinander sprachen, unterstrichen sie ihre Worte mit ausladenden Gesten. Als Shaan an ihnen vorbeikam, brach das Gespräch ab, und die Fremden sahen ihr finster hinterher.
Sie glaubte nicht, dass sie Menschen wie diese schon einmal gesehen hatte. Vor ihr mündete die Straße in die Große Allee, und ein beständiger Strom von Menschen und Muthus, die Wagen zogen, schob sich in beide Richtungen. An der Kreuzung blieb Shaan stehen, und als sie den Blick schweifen ließ, erwartete sie ein seltsamer Anblick. Aus einer Seitenstraße quoll eine Gruppe erschöpfter, staubbedeckter Menschen. Wie diejenigen, die sie eben schon zu Gesicht bekommen hatte, waren sie alle hellhäutig und trugen lange Umhänge. Männer, Frauen und Kinder drängten sich eng zusammen und schauten die gaffenden Umstehenden an. Viele trugen bauchige Säcke auf den Schultern. Schweigend näherten sie sich der Großen Allee, ihre Gesichter waren entschlossen, die Augen dunkel und müde. Es waren so viele. Shaan zählte mindestens fünfzig, und es kamen immer mehr.
»Ich frage mich, woher sie stammen.« Es war Tuon, die sie von der Seite angesprochen hatte. Shaan war freudig überrascht. »Tuon! Wo bist du gewesen? Ich habe dich heute Morgen gesucht.«
Wieder sah ihre Freundin sehr erschöpft aus, und sie trug das gleiche Kleid wie am Vortag.
»Ich habe gearbeitet«, antwortete sie. »Und jetzt bin ich auf dem Weg zurück zum Gasthaus.«
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
»Mir geht es gut. Ich muss nur nach Hause und ein wenig Schlaf bekommen.« Sie fuhr sich mit der Hand durchs Haar. »Und etwas essen. Ich bin am Verhungern.«
»Hier, nimm das.« Shaan zog den zweiten Fladenkuchen aus der Tasche und senkte ihre Stimme zu einem Flüstern. »Kommandant Rorc ist im Gasthaus.«
»Wie bitte?«
»Ich sah ihn an der Hintertür, als ich ging. Ist er deinetwegen gekommen?«
Tuons Gesicht wurde bleich. »Nein. Vielleicht sucht er dich.«
In ihrem Blick lag eine unausgesprochene Frage, und Shaan schüttelte den Kopf. »Ich habe dir doch gesagt, dass ich nicht für ihn arbeiten werde.«
»Nun«, Tuons Blick wanderte an ihr vorbei zu der Menschenansammlung, »ich schätze, dann wird es ein ungelöstes Rätsel bleiben,
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