Der Herr Der Drachen: Roman
Mädchen jedoch damit, sie errötend anzustarren.
Tallis, der die gradlinige Art der Clanfrauen gewöhnt war, kamen sie eher wie Kinder denn wie Frauen vor. Keine Clanfrau hätte es so stillschweigend hingenommen, wenn ein Mann ihre Unterhaltung so respektlos unterbrochen hätte, wie es einer von Vilans Männern getan hatte. Wenn er es bei Irissa versucht hätte, hätte er das spitze Ende ihres Jagdmessers zu spüren bekommen. Doch der Gedanke an die aufbrausende Clanfrau war wie ein schmerzhafter Stich in seine Seite; es war unwahrscheinlich, dass er sie oder irgendeine andere Frau aus dem Clan jemals wiedersehen würde.
Von diesem Moment an war ihm der Abend verleidet, und er saß schweigend da, trank nur wenig, und hörte zu, wie Jared mit Attar darüber stritt, wer der bessere Messerwerfer sei, bis Vilan die Diskussion beendete. Daraufhin zogen sie sich in ihre Betten zurück, die ihnen in den Gemeinschaftsbaracken der Soldaten zugewiesen worden waren.
19
D as Flüstern zerrte an ihr. Shaan umklammerte im Schlaf ihre raue Decke, spannte sie mit aller Kraft zwischen ihren Händen, und ein feiner Schweißfilm überzog ihre nackte Haut.
Cara merak Arak-si , zischte die Stimme.
Langsam drehte sie sich in der völligen Schwärze um. Ihr Atem ging flach und schnell. Sie wusste, dass sie von hier fort sein musste, ehe es sie gefunden hatte, aber sie hatte keine Kontrolle über ihren Körper. Sie wusste nicht, in welche Richtung sie sich wenden sollte. Ein plötzliches, helles Licht stach ihr in die Augen und war verschwunden, als ein Schmerz ihren Schädel durchzuckte.
Arak-si , flüsterte es ihr zu.
Aufhören , flehte sie, aber sie wirbelte nur noch schneller herum, und der Schwung presste ihre Rippen zusammen und verdrehte ihre Gliedmaßen. Die Finsternis rückte näher und nahm ihr die Luft. Sie konnte nicht mehr atmen! Voller Entsetzen streckte sie die Hände aus. Das Kreisen hörte auf, und mit einem tiefen Atemzug fiel sie.
Es war dunkel, und sie stand auf nassem Erdboden. Die Luft war warm und feucht, und sie konnte den Wind hören, der durch die Blätter strich. Aus ihren Augenwinkeln sah sie Licht flackern. Flammen loderten auf und züngelten an einer hohen Steinmauer neben ihr entlang. Mit einem Schluchzen kauerte Shaan sich nieder und machte sich so klein wie möglich, als sie begriff, wo sie war: in der Stadt des Feuers und des Todes. Schreie und rufende Stimmen erfüllten die Luft, und ein Aufprall erschütterte den Boden. In der Nähe war das zerstörte Tor; der zerschmetterte Rahmen hing an abgeschlagenen Steinsäulen, und hindurch
drängten sich große Massen von Menschen, die kreischten und stolperten.
Arak-si , flüsterte die Stimme erneut.
Entsetzt und orientierungslos wandte Shaan sich um und suchte nach dem Ursprung der Stimme. Ein Luftstrom blies ihr ins Gesicht, und über ihrem Kopf ertönte ein schriller Schrei. Als sie aufblickte, sah sie ein großes, weit aufgerissenes Maul niedersausen. Riesige Flügel peitschten durch die Luft und wirbelten Schutt und Asche auf. Ein großes Auge hielt Shaan in seinem Bann. Sie spürte den Atem des Drachen auf ihrem Gesicht. Wieder ging eine Erschütterung durch die Erde und warf sie zu Boden, und ein scharfer Schmerz schoss durch ihr Bein.
Mit einem Schrei öffnete sie die Augen. Sie lag in ihrem Bett im Gasthaus. Zitternd holte sie Luft, griff an ihr Bein und rieb sich die Kniescheibe. Vermutlich hatte sie sich im Schlaf an der Wand gestoßen. Shaan schob die Decke weg und rollte sich müde aus dem Bett, ging zum Fenster und öffnete die Flügel. Salzige Luft wehte herein und trocknete den Schweiß auf ihrer nackten Haut. Das Meer war ein dunkles Laken, und ein helles Rosa färbte den Himmel. Der Großteil der Stadt lag noch im Schatten, und es wehte kaum eine Brise. Ihr war kalt, und sie strich sich über ihre Arme.
Mehr als eine Woche war vergangen, seitdem sie Morfessa gesehen hatte; ihre Träume waren noch schlimmer geworden und suchten sie beinahe jede Nacht heim. Die Salbe, die Morfessa aufgetragen hatte, schien jedoch ihren Zweck erfüllt zu haben. Die Blutergüsse waren verblasst, und der Riss in ihrem Gesicht begann ohne Narbe zu verheilen. Aber das alles war unwichtig angesichts dessen, was der alte Mann ihr erzählt hatte. Arak-si : Nachkomme von Azoth. Diese Worterklärung quälte sie.
Sie holte mehrmals tief Atem und ließ den Blick über die Stadt wandern. Das Dach der Drachenkuppel glühte scharlachrot, und dieser Anblick lag ihr
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