Der Herr der Falken - Schlucht
Gemahlin gewandt: »Argana, hol mir einen Becher Met. Ich habe Durst.«
Argana nickte schweigend und ging zu dem großen Faß Met. Männer, Frauen und Kinder machten ihr den Weg frei und bildeten eine Gasse.
»Antworte mir«, beharrte Cleve. »Was hättest du getan? Mich, deinen Sohn, umgebracht?«
Varrick winkte unwirsch ab und wartete, bis Argana ihm einen Silberbecher Met reichte. Cleve fragte sich, wo er das kostbare Stück wohl erbeutet hatte. Er beobachtete, wie sein Vater einen tiefen Schluck nahm und den Becher dann einem seiner Männer hinhielt. Dann wischte er sich mit dem Rücken seiner makellos gepflegten, weißen Hand den Mund.
»Du bist mir eine Antwort schuldig«, forderte Cleve abermals.
»Was du sagst, Cleve«, entgegnete Varrick leise, »ist sehr schmerzlich für mich. Ich bin dein Vater. Ich will Athol nicht töten, weil auch er mein Sohn ist. Ich halte die Mutter für schuldig, ihn zu der schändlichen Tat angestiftet zu haben. Ich wollte nur die Schuldige bestrafen. Was du sagst, verletzt mich tief. Du mußt mir glauben, daß ich deine Frau nicht begehre. Ich weiß nicht, wie du auf diesen Gedanken verfallen kannst.«
Cleve wischte seine Worte beiseite. »Du hättest sie getötet, wenn Chessa sich nicht dazwischen geworfen hätte.«
»Warum, Prinzessin?« wandte Varrick sich an Chessa. »Warum hast du sie gerettet? Ich halte sie für schuldig. Du hast vermutlich deine Zweifel.«
Chessa schüttelte angewidert den Kopf. »Du warst nicht dabei, Varrick. Du hast nicht gesehen, was Athol tat. Du hast nicht gehört, wie er uns beschimpfte. Er ist wie ein räudiger Köter, der uns die Schuld daran gibt, daß er Flöhe hat. Er ist dich als Vater und Cleve als Halbbruder nicht wert. Du wirst Argana nichts zuleide tun.«
»Sie hat recht, Lord Varrick«, meldete Igmal sich zu Wort und trat vor. »Es ist, wie ich Euch sagte. Athol verdient Eure Nachsicht nicht.«
»Tu mit Athol, was du willst«, sagte Chessa, »Aber Argana wirst du nichts antun«. Cleve nickte ihr zu, und Chessa nahm seine Hand. Er zog sie an sich.
Varrick lächelte, und dann lachte er ein rauhes, rostiges Lachen, das hohl und gespenstisch klang. Dieser Mann hatte lange nicht gelacht. Alle Leute blickten verblüfft, ja verstört, schwiegen jedoch und wagten keine Bewegung. Chessa konnte ihre Angst förmlich riechen. Da war sie wieder, diese Stille in dem großen Haus, die wie eine drückende Last auf den Bewohnern lag.
»Glaubst du Närrin wirklich, du könntest mich davon abhalten zu tun, was mir gefällt?«
Chessa ließ Cleves Hand los, trat dicht an Varrick heran und blickte ihn kalt an. »Wenn du Argana etwas zuleide tust, töte ich dich, und niemand wird wissen, daß ich es war. Denn ich bin tatsächlich eine Hexe. Ich bin die Tochter von Hormuze, dem größten Zauberer, den es je gab. Du hast es selbst gesagt. Ich bin seine Tochter und beherrsche die Zauberkunst. Und Cleve ist der einzige Mann, dem ich je treu ergeben bin. Ihn und Kiri habe ich tief in mein Herz geschlossen. Niemand wird ihnen etwas antun.« Ohne den Blick von Varrick zu wenden, nur lauter sprechend, fuhr sie fort: »Ich hoffe auch du hast mich verstanden, Athol. Falls du nämlich einen zweiten schändlichen Plan haben solltest, wirst du sterben, bevor die Sonne im Westen im Meer versinkt. Zweifle nicht daran. Es hat Männer gegeben, die mir nicht glaubten, und sie haben teuer dafür bezahlt.«
Sie machte auf dem Absatz kehrt und ging auf ihren Ehemann zu. Als sie nahe bei Cleve war, blickte sie zu ihm auf und zwinkerte ihm unmerklich zu.
Cleve konnte den Blick nicht von ihr wenden. Niemand außer ihm hatte ihr Zwinkern gesehen. Schließlich raunte er ihr zu: »Nun verstehe ich, was Kerek meinte. Aber ich warne dich Chessa, du spielst mit Dingen, von denen du keine Ahnung hast. Das beunruhigt und verärgert mich. Sei vorsichtig und handle nur, wenn es notwendig ist, und nur wenn ich nicht da bin ...«
Er stockte. Denn genau das hatte sie getan. Sie war allein gewesen, und sie hatte gehandelt. Sie hatte genau das getan, was er auch getan hätte. »Wie wird ein Mann nur mit einer Frau fertig, die Soldaten in den Krieg gegen die Römer hätte führen können?«
»Du redest Unsinn wie Kerek.«
»Wenn es nur Unsinn wäre.« Noch leiser setzte er hinzu: »Vermutlich muß ich dich immer in meiner Nähe behalten -ich muß dich einfach lieben. Bist du damit einverstanden?«
Sie blickte zu ihm auf. Sie hatte sich lange danach gesehnt, diese Worte von ihm zu
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