Der Herr der Falken - Schlucht
gelassen, wie er mit gezücktem Messer auf sie zutrat. Seine Rede sollte alle Versammelten davon überzeugen, daß die Mutter den Sohn zu einer Gewalttat angestiftet hatte. Chessa schrie: »Bei den Göttern, was hast du vor? Wage nicht, sie zu töten, Varrick!«
Sie rannte wie von Sinnen auf Argana zu, stieß sie beiseite und stellte sich Varrick in den Weg, dessen rechter Arm mit dem Dolch erhoben war.
»Ich kann nicht glauben, daß du dazu fähig bist. Varrick, du wirst sie nicht töten. Ich lasse es nicht zu. Erst mußt du mich töten.«
»Töte sie, Vater«, schrie Athol spitz. »Töte beide! Dann sind wir die Hexe und meine heimtückische Mutter los.«
»Was hast du da nur großgezogen?« fragte Chessa mit kühler, leiser Stimme. »Er ist es, der den Tod verdient. Ich wünschte, Cleve hätte mich heute nicht zurückgehalten. Ich hätte mein Messer gern in sein schwarzes Herz gesenkt, und wenn er auch noch so jung ist. Je älter er wird, umso gemeiner und bösartiger wird er, ein Tyrann, ein ehrloser Bösewicht. Und er ist auch dein Sohn, du gibst seiner Mutter alle Schuld. Du solltest lieber dir selbst die Schuld geben, du elender Schurke.«
»Aus dem Weg, Chessa!«
»Deine beschwörende Magierstimme nützt dir nichts, Varrick. Ich rühre mich nicht von der Stelle. Du wirst Argana nicht töten. Sie hat nichts getan. Sie hat mich bloß eine Hexe genannt. Und was ist daran falsch? Du hältst mich doch auch für eine Hexe, du hoffst sogar, daß ich eine Hexe bin. Bestrafe den wirklich Schuldigen.«
»Aus dem Weg, Chessa!«
Es war Argana, die nun versuchte, Chessa beiseite zu schieben. Doch Chessa hielt der größeren und kräftiger gebauten Argana stand. Sie rührte sich nicht vom Fleck. »Nein«, entgegnete sie und blickte Varrick unverwandt an, der ihren Blick erwiderte, sein braunes Auge strahlend wie die goldene
Sonne, das blaue Auge dunkel wie die aufgewühlte stürmische See. Jede Faser seines Körpers war angespannt, und das Messer hatte er immer noch in der Faust. »Schweig, Argana,« gebot Chessa. »Ich lasse nicht zu, daß er dich tötet. Du wirst nicht für deinen Sohn sterben. Ich wunderte mich vorhin, warum Cleve nicht hier ist, Varrick. Nun wird mir klar, daß du ihn weggeschickt hast aus Angst, er könne seine Schwester beschützen. Er brachte dir Athol, damit du ihn bestrafst, doch du willst seine Mutter töten. Warum, Varrick?«
»Geh zur Seite, Chessa. Argana muß für ihren Verrat bezahlen. Ihre Strafe ist der Tod.«
»Warum, Varrick?« Diese Frage kam von Merrik, der vorgetreten war und nun neben Chessa stand. »Wenn du Argana auch nur ein Haar krümmst, werde ich dich auf der Stelle töten. Und danach bringe ich den Satan um, der deinen Lenden entsprang.«
»Du hast hier nichts zu sagen, Merrik von Malverne. Geh mir aus dem Weg und nimm Chessa mit.«
»Nenne uns den Grund, Varrick«, entgegnete Chessa und hielt Argana am Handgelenk fest.
»Denk nach, Chessa und auch du, Merrik. Er will meine Schwester loswerden.«
Chessa fuhr herum. »Cleve, du bist hier, den Göttern sei Dank!« Sie wagte nicht, ihm entgegenzulaufen, wohl wissend, daß Varrick zustieß, sobald sie Argana freigab.
»Varrick sagte, Kiri sei Igmal weggelaufen, und ich suchte überall nach ihr. Dabei war sie die ganze Zeit bei Laren und Merrik. Nicht wahr, Varrick? Wir sind erst seit zwei Tagen hier, und du hast beschlossen, Argana umzubringen, weil du Chessa begehrst, meine Gemahlin, die Tochter von Hormuze, dem Zauberer. Athol hätte Chessa und uns alle mühelos töten lassen können. Er hatte gut zwei Dutzend Banditen an der Hand, die das schmutzige Geschäft für ihn erledigt hätten.«
»Argana wollte ihren Tod, nicht ich«, entgegnete Varrick. »Überzeugt dich das nicht, Cleve?«
»Nein«, entgegnete Cleve und schüttelte bedächtig den Kopf. »Athol wünscht uns allen den Tod.«
»Du irrst, Cleve.«
»Jedenfalls sind Chessa und ich noch am Leben. Was war dein Plan, nachdem du Argana beiseite geschafft hättest? Wäre ich der Nächste gewesen? Dein Sohn? Wolltest du Chessa zwingen, dich zu heiraten? Zu dumm, daß du Chessa nicht kennst. Sie hätte dir das Leben zur Hölle gemacht.«
Langsam ließ Varrick das Messer sinken und steckte es in den Gürtel. Er schwieg lange. »Chessa ist eine Frau, wie jede andere auch«, sagte er dann mit seiner tiefen, beschwörenden Stimme. »Ich will sie nicht. Wieso auch? Sie gehört dir. Sie ist eine Frau und tut, was man ihr sagt. Paß auf, Cleve.« Und zu seiner
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