Der Herr der Falken - Schlucht
und rannte hinter der Kleinen her, die versuchte, ein Schaf zu streicheln.
»Sie will nur das verdammte Ungeheuer noch einmal sehen«, sagte Merrik. »Hoffentlich schafft sie es, sonst macht sie mir das Leben schwer.« Er beeilte sich, Laren einzuholen.
KAPITEL 24
Am folgenden Morgen kratzte Chessa den letzten Haferbrei aus der Schale und leckte sogar den Holzlöffel ab, denn Arganas Honig war süß wie Cleves Küsse. Sie bot Argana an, ihr beim Abwasch zu helfen, doch die schüttelte ablehnend den Kopf. »Wenn du erst hier lebst und nicht mehr Gast in diesem Haus bist, dann übernimmst du Aufgaben im Haushalt, aber nicht vorher. Stimmt es, daß Merrik, Laren und die Malverneleute bald abreisen?«
»Ja«, antwortete Chessa. »Es gibt keinen Grund für sie, länger zu bleiben. Dies ist die Heimat meines Gemahls, nicht Malverne.«
Argana warf ihr einen Blick zu, den sie nicht zu deuten wußte.
»Was wirst du tun, Argana?«
»Was meinst du, Chessa? Was ich mit Varrick tue? Mit dem Mann, mit dem ich seit achtzehn Jahren verheiratet bin und der mich kaltblütig töten wollte? Gar nichts. Was kann eine Frau schon tun? Außer dienen und den Mund halten, auch wenn es ihr schwerfällt, und sie sich auf die Zunge beißt, bis es blutet?«
»Du könntest ihm sagen, daß er ein Schuft ist.«
Argana blickte sie stumm an, dann warf sie den Kopf in den Nacken und lachte, ja sie konnte sich kaum halten vor Lachen. Chessa fiel in das Lachen mit ein. Alle gafften mit offenen Mündern zu den beiden Frauen herüber, und ihre Blicke flogen unruhig suchend durch den Raum nach dem Herrn von Kinloch. »Warum gibt es hier keine Freude?« fragte Chessa. »Kein Lachen? Dein Lachen klingt schön und ansteckend, Argana. Aber schau dir deine Leute an. Sie sind entsetzt über unser Lachen. Entsetzt und voller Angst.«
»Cayman lacht manchmal«, sagte Argana. »Aber sie lacht nur, wenn sie alleine ist. Ich beobachte sie, wenn sie durch die Wiesen spaziert und Blumen pflückt. Sie riecht daran, dann lächelt sie, und manchmal lacht sie laut. Es klingt sehr hübsch. Cayman war ein süßes Kind, aber sie ist nie von hier fortgekommen, hat immer hier gelebt, und das ist nicht gut, Chessa. Du hast mir das Leben gerettet. Ich habe noch nicht mit dir darüber gesprochen, weil ich...« Sie stockte und blickte auf eine Schnittwunde an ihrer Hand. Der Daumen war rot angeschwollen. »Ich kann mich gar nicht erinnern, mich geschnitten zu haben.«
»Die Wunde ist entzündet und muß behandelt werden. Mirana hat mir eine Salbe mitgegeben.«
Aus der Kiste unter ihrem Bett holte sie die Arznei und brachte sie Argana. »Säubere die Wunde und behandle sie dreimal am Tag damit.«
Als Argana etwas von der Weißen Salbe auftrug, legte sich ein Schatten über die beiden Frauen. Chessa erschauerte, blickte über die Schulter und sah Varrick, der seine Frau fixierte. »Was machst du da, Argana?«
»Ich habe mich in den Finger geschnitten. Chessa gab mir eine Heilsalbe.«
Einen Moment lang sah Varrick aus, als wolle er den Salbentopf ins Feuer werfen, doch dann zuckte er gleichgültig die Schultern. »Chessa, ich möchte mit dir reden. Cleve und Igmal wollen Kiri das Reiten auf dem Pony beibringen, das ich Athol aus Inverness habe mitbringen lassen.«
Argana hielt den Kopf gesenkt. Sollte ihr Finger, der die Salbe einstrich, einen winzigen Augenblick lang stocken, so war das nur ein Zeichen dafür, daß sie gehört hatte, was ihr Gemahl gesagt hatte.
»Gut«, sagte Chessa und lächelte Argana zu. »Vergiß nicht, dreimal am Tag. Dann ist die Wunde bald verheilt. Nun Varrick, was willst du mir sagen? Etwas, worüber ich lachen kann? Ihr braucht etwas mehr Freude hier in Kinloch.«
»Ich möchte mit dir über Caldon sprechen. Ich rief ihn heute morgen, aber er kam nicht.«
»Vielleicht ist Caldon weiblich«, entgegnete Chessa sachlich. »Möglicherweise ist sie es leid, sich deinen Befehlen und deiner Herrschsucht unterzuordnen.«
»Möglich«, entgegnete er, und seine Stimme war noch kälter als zuvor. »Wir wollen einen Spaziergang machen, Chessa.«
Sie nickte. Warum nicht? Er war ihr Schwiegervater. Sie würde bis ans Ende seiner Tage mit ihm auskommen müssen. Bedauerlicherweise wirkte er vitaler und stürmischer als der Ziegenbock, vor dem Kiri in Igmals Arme flüchtete. Einen kurzen Moment dachte sie über die Zauberkräfte nach, die er möglicherweise hatte, und sie warf einen Blick auf den
Burra an seinem Gürtel. Sie erinnerte sich deutlich an
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