Der Herr der Falken - Schlucht
hören und sagte nur: »Ja, damit bin ich einverstanden, Ehemann, so wie ich mit dir einverstanden bin, jetzt und für alle Zeit.«
Die Tage verstrichen ohne weitere Zwischenfälle. Um Athol machten alle einen weiten Bogen. Argana sprach kein Wort mit Chessa, doch da sie vorher nicht mit ihr gesprochen hatte, war daran nichts Neues. Cayman schien mit jedem Tag schöner zu werden. Ihre Haut blühte, ihre Augen strahlten. Doch auch sie schwieg beharrlich.
Varrick hielt sich von allen fern, nur nicht von Cleve. Als wisse er, daß alles verloren wäre, wenn er Cleves Vertrauen nicht gewinnen konnte.
Am vierten Tag sagte Merrik zu Cleve und Chessa, während sie einen schmalen Pfad am Seeufer entlangspazierten: »Laren und ich sind der Meinung, wir sollten nach Malverne zurückkehren. Die Männer sind unruhig. Nein, ich will ehrlich sein. Sie haben Angst vor diesem Ort, vor diesem Ungeheuer, das Lord Varrick Caldon nennt. Sie lassen euch ungern hier zurück, aber sie haben Angst.«
Cleve betrachtete Laren, die über den See blickte und
Ausschau nach dem Ungeheuer hielt. Sie verbrachte die meiste Zeit des Tages am See und wartete auf das Fabeltier.
»Sie will das Monster noch einmal sehen«, sagte Merrik. »Sie erinnert sich lebhaft an den Tag des Überfalls, als sie es kurz zu Gesicht bekommen hat. Aber einmal genügt ihr nicht. Sie möchte, daß es ans Ufer kommt, und will mit ihm sprechen. Sie wird eine Skaldengeschichte spinnen, die man über viele Generationen erzählt. Zahllose Menschen werden glauben, das Ungeheuer existiere wirklich und sich auf die Suche danach begeben. Sie will das Ungeheuer aus den Tiefen des Loch Ness locken.«
»Gestern habe ich das Ungeheuer gesehen«, flötete Kiri. Alle blieben stehen und blickten erstaunt auf sie herunter. Sie hatte einen Strauß Heidekraut gepflückt und roch an den kleinen violetten Blüten. »Caldon ist kein Ungeheuer. Igmal hat recht. Caldon ist eine Mutter und hat viele Kinder, wie meine zwei Papas auch bald haben werden. Sie hat mich angelächelt. Sie hat einen ganz langen Hals, den kann sie so tief herunterbeugen, daß ich ihr Gesicht sehen kann. Ich sagte ihr, daß Lord Varrick anders ist als meine Papas. Ich glaube nicht, daß sie gerne kommt, wenn er sie ruft. Sie machte ein trauriges Gesicht. Ich glaube, er zwingt sie, zu ihm zu kommen. Dann tauchte sie einfach unter und war weg.«
Cleve blickte seine Tochter an, und obwohl er wußte, daß die Geschichte erfunden war, freute er sich darüber, daß sie so fantasiebegabt war. Anscheinend schlummerten auch in ihr Skaldentalente.
»Kiri«, sagte Laren, »Du mußt mir das alles heute abend vor dem Schlafengehen erzählen.«
»Ja, Tante«, antwortete Kiri und entfernte sich hüpfend, um weiter Heidekraut zu pflücken.
»Das ist meine Heimat«, sagte Cleve. »Chessa hat beschlossen, dort zu leben, wo ich lebe. Sie schwört, daß sie dieses wilde Land liebt und daß der Nebel ihr Gesicht liebkost wie die Finger eines Liebhabers.«
»Habe ich das wirklich gesagt, Cleve?«
»Vermutlich weniger poetisch«, entgegnete Cleve. »Wir werden bleiben. Hier ist meine Heimat. Hier habe ich Rechte.
In Malverne gehört mir nichts, Merrik. Du bist der Herr dort, und Laren die Herrin. Chessa, Kiri und ich, wir bleiben hier. Und ich habe einen Plan, den mein Vater, wie ich hoffe, gutheißen wird.«
»Du könntest an den Hof Herzog Rollos nach Rouen zurückkehren«, schlug Laren vor. »Mein Onkel hält dich für den geschicktesten seiner Diplomaten, Cleve.«
»Chessa findet mich als Diplomaten unausstehlich.«
»Ja, dann kommt er mir mit seiner glatten Zunge vor wie eine Schlange. Wäre er nicht so schön, hätte ich ihm im Schloß meines Vaters keinerlei Beachtung geschenkt.«
Merrik lachte und blickte über den See. »Der Nebel drängt schon wieder vom Meer herein. In Norwegen haben wir eiskalte Winter und ertrinken fast im Schnee. Aber in den Sommermonaten, wenn die Sonne nicht untergeht, ist das Leben unendlich heiter und schön.«
»Wir werden uns an das Klima hier gewöhnen«, meinte Chessa zuversichtlich. »Ihr braucht keine Angst zu haben, uns hier alleine zu lassen. Würde Varrick unseren Tod wünschen, hätte er dafür gesorgt, daß wir alle umkommen. Auch ihr und eure Männer. Fahrt heim. Kehrt nach Malverne zu euren Familien zurück. Unsere Heimat ist jetzt Kinloch.«
Merrik nahm die Hand seiner Frau. »Wir verlassen euch in zwei Tagen, wenn alles gutgeht.«
»Ich möchte mit Kiri sprechen«, sagte Laren
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