Der Herr der Falken - Schlucht
die eisige Kälte und die sengende Hitze, die davon ausgingen, und an das Bild ihrer Mutter. Zu Argana gewandt sagte sie: »Ich mache einen Spaziergang mit meinem Schwiegervater, Argana.« Sie spürte, wie er sich neben ihr versteifte, und wußte, daß er es haßte, so genannt zu werden, und sie empfand Genugtuung darüber. Sie war fest entschlossen, dafür zu sorgen, daß in Kinloch bald wieder gelacht wurde und eine normale Stimmung einzog - mit Scherzen, Lachen und Disputen, Gezänk, Raufereien unter den Männern, und mit spielenden Kindern, die johlend durchs Haus tobten, eben mit allen Facetten, die zum Leben gehörten. Nicht diese kalte, bedrückende Stimmung, die Varrick verbreitete.
»Du möchtest mit mir über Caldon sprechen?«
Er schwieg, bis sie außer Hörweite waren. »Die Sonne strahlt«, sagte er endlich. »Es wird ein schöner Tag.«
Sie lachte. »Nicht lang, wette ich. Jedesmal, wenn ich sicher war, daß die Sonne den ganzen Tag scheint, waberte der Nebel daher, und innerhalb weniger Minuten war alles grau. Wollen wir wetten, Varrick?«
»Warum nennst du mich nicht Herr?«
»Du bist mein Schwiegervater. Wieso sollte ich? Weißt du nicht, daß ich dich achte, weil du der Vater meines Gemahls bist?«
Er warf ihr einen Blick zu, als wolle er ihr an die Gurgel fahren. »Ich wette, daß die Sonne den ganzen Tag scheint«, entgegnete er und seine weißen, schmalen Hände ballten sich zu Fäusten. »Wenn ich recht behalte, will ich etwas von dir.«
»Und das wäre?«
»Ich möchte, daß du mein Kind trägst.«
»Was?« Sie blickte ihn fassungslos an, zu keinem weiteren Wort fähig. »Was?« wiederholte sie.
»Ich kann meinen eigenen Sohn nicht töten, um dich zu nehmen. Daher wirst du meine Geliebte und trägst mein Kind. Cleve wird nie etwas davon erfahren. Das Kind, das wir in die Welt setzen, wird größere Gaben in der Zauberkunst haben als ich und dein Vater, Chessa. Du bist es den geheimen Mächten schuldig, ein Kind zur Welt zu bringen, das ein Erbe in sich vereint, das noch kein Mensch vor ihm besaß. Chessa, willst du meine Geliebte sein? Wirst du mein Kind austragen, das der größte Zauberer aller Zeiten zu werden verspricht?«
Sie blickte ihn unverwandt an und antwortete sehr ruhig: »Cleve hatte also recht. Du wolltest Argana töten, um mich zu bekommen. Aber das war ein dummer Plan, Varrick. Und auch da hat Cleve wieder recht. Was hättest du noch getan? Deinen eigenen Sohn getötet?«
»Nein. Er irrt. Ich wollte Argana töten, um sie zu bestrafen. Ich will dich, aber nicht als meine Gemahlin, da du mit Cleve verheiratet bist. Antworte mir, Chessa. Wirst du mein Kind tragen?«
Sie zwang sich zur Ruhe, denn sie brauchte Zeit zum Überlegen. »Vielleicht irgendwann in der Zukunft, Varrick.«
»Nein, wir dürfen nicht warten. Ein Mann kann schnell sterben. Jetzt muß es sein.«
»Ich kann nicht, Varrick«, entgegnete sie, immer noch ruhig lächelnd. »Ich bin mit Cleves Kind schwanger.«
»Du bist was?« Cleve blickte fassungslos auf sie hinunter, zu viele Erinnerungen rasten ihm durch den Kopf. Er war dabei, sie zu küssen, ihre Brüste zu liebkosen, als sie mit der Nachricht herausplatzte. »Schon wieder, Chessa? Trägst du wieder einmal mein Kind? Ich hatte gedacht, wir hätten diese Spielchen hinter uns. Zum Glück ist es diesmal nicht Ragnors Kind.«
»Hör mir bitte zu, Cleve, dann begreifst du, wie klug ich bin. Dein Vater hat es sich in den Kopf gesetzt, mich zu beschlafen, damit ich sein Kind austrage.«
»Was?« Cleve strich sich mit der flachen Hand über die Stirn. »Du wartest, bis ich vor Verlangen schiele, und dann erzählst du mir, daß mein Vater ein Kind von dir will? Er ist ein alter Mann. Dafür schlitze ich ihm die Gurgel auf. Er ist genauso heimtückisch wie Ragnor, nur noch ausgekochter. Er will mit dir ins Bett? Dafür bring ich ihn um, Chessa. Und du wirst mich nicht davon abhalten.«
»Nein, ich werde dich nicht abhalten, Cleve. Aber hör mir zu. Varrick will nicht eigentlich mich, er glaubt nur felsenfest, daß ein Kind, das er mit mir zeugt, der größte Zauberer der Welt sein wird. Er könnte mein Vater sein. Als er mir eröffnete, unser Kind werde der größte Magier aller Zeiten sein, mußte ich ihm gestehen, daß das leider nicht möglich ist, weil ich dein Kind unter dem Herzen trage. Ich weiß nicht, ob es angebracht wäre, ihn jetzt zu töten.«
Cleves Verlangen war inzwischen wie lauwarme Asche im erkalteten Herd. Er setzte sich nackt an
Weitere Kostenlose Bücher