Der Herr der Falken - Schlucht
frische Morgenluft tief ein. »Nur die abgebrochenen Äste und das angeschwemmte Treibgut erinnern an den furchtbaren Gewittersturm vor zwei Nächten.«
Gunleik bückte sich und hob ein seltsam geformtes Stück Treibholz auf. Vielleicht konnte er daraus etwas schnitzen und seiner Frau Erna schenken, einen Delphin vielleicht. »Was hältst du von dem Kriegsschiff, Rorik?«
Rorik blickte zu dem Schiffswrack hinüber. »Wir könnten es soweit zusammenflicken, daß die Männer nach York rudern können. Der Mast ist gebrochen. Aber das Steuerruder können wir instandsetzen.«
»Wir nehmen eines deiner Kriegsschiffe.« Mit diesen Worten trat Ragnor an die beiden heran. »Ich habe mir beide angesehen und auch die Handelsschiffe. Ich denke, ich nehme von jedem eins. Betrachtet das als Tribut, den ihr mir schuldet.«
Rorik musterte diesen Ragnor von York in aller Ruhe, der noch abgerissener herumlief als seine Männer. Offenbar hatte ihm niemand etwas zum Anziehen angeboten.
»Ja«, Ragnor sprach nun lauter, denn Kerek und sechs seiner Gefolgsleute tauchten hinter ihm auf. »Wir nehmen das Kriegsschiff dort drüben. Das wird uns vorläufig genügen.«
»Aha«, sagte Rorik gelassen »Und werdet ihr es zurückgeben, wenn es nicht mehr gebraucht wird?«
»Dafür besteht kein Grund. Es ist wie gesagt euer Tribut an mich. Wir segeln nach dem Morgenmahl ab. Ich gab deiner Frau und der zahnlosen alten Hexe Anweisung, uns Proviant einzupacken. Die Alte sah mich so komisch an, als sei sie nicht richtig im Kopf. Chessa hat Anweisung, sich fertigzumachen. Da ist noch eine junge Frau, die mir gefällt. Ihr Name ist Utta, die nehme ich auch mit. Sie hat die Ehre, meine künftige Bettgefährtin zu sein.«
Kerzog knurrte und zeigte gefährlich gelbe Fänge.
Rorik grinste und sagte mit unverändert gelassener Stimme: »Ich glaube kaum, daß dieser Vorschlag ihrem Ehemann gefällt, genauso wenig wie meinem Hund. Er heißt Kerzog. Ihr Ehemann heißt Haakon. Vielleicht sprecht Ihr selbst mit ihm über Utta. Es ist der große Kerl dort drüben, der grade mit ein paar meiner Leute den gebrochenen Mast wegschafft. Ich rufe ihn.«
»Nein, das ist nicht nötig«, versicherte Kerek eilig. »Lord Ragnor scherzt nur. Er hat kein Interesse an einer Frau, die mit einem anderen verheiratet ist.«
»Dann eben nicht.« Ragnor begutachtete die Muskelpakete an Haakons Armen und Rücken. »Aber das Kriegsschiff und eines der Handelsboote nehme ich.«
»Rorik, dies ist eine schwierige Situation.« Kerek bemühte sich, den Herrn der Habichtsinsel für Ragnors Vorschlag zu erwärmen. »Ich muß dafür sorgen, daß Lord Ragnor und die Prinzessin wohlbehalten nach York kommen.«
»Nein, das ist überhaupt nicht schwierig«, widersprach Hafter. »Ihr haltet euren Mund, sonst bringen euch unsere Leute langsam und mit Genuß um. Ihr haltet den Mund solange, bis Lord Rorik entschieden hat, was mit euch geschehen soll. Hab ich mich klar ausgedrückt, auch für dich, Blödian?«
Ragnor zeterte empört los. »Was fällt dir ein?! Ich bin Ragnor von York. Blödian wagst du mich zu nennen? So hat nicht einmal meine Mutter mich beschimpft. Ich lasse dich auspeitschen.« Die Augen waren ihm vor Wut aus den Höhlen getreten. Doch plötzlich beruhigte er sich. »Hör zu Rorik, ich brauche Hilfe, und du mußt mir geben, was ich verlange.«
Kerzog sah aus, als würde er ihn jeden Moment anspringen. »Platz!« befahl Rorik und zog ihm die Ohren lang. »Kerek, bring ihn fort. Er wird lästig. Nicht meinen Hund, deinen Herrn. Wie Hafter sagt, ich lasse euch rechtzeitig wissen, was mit euch geschieht und wann.«
»Kommt Mylord, macht einen Spaziergang mit mir. Die Insel hat gutes, fruchtbares Ackerland. Wir können uns ein wenig umsehen...«
Ragnor drehte sich um und schlug Kerek mit der flachen Hand auf den Mund. »Du dummer, alter Graubart. Du wagst es, mich wie ein Kind zu behandeln? Du wagst es, die Partei dieser Leute zu ergreifen? Ich peitsche dir die Haut vom Rücken ...«
Rorik hörte einen wütenden Schrei, wandte den Kopf und sah Chessa den Pfad herunterlaufen. Knapp vor Ragnor blieb sie mit zornrotem Gesicht stehen und hämmerte ihm ihre Fäuste gegen die Brust, stieß ihn zurück, schlug ihm mit den Füßen gegen die Schienbeine und schrie ihm ins Gesicht: »Du Dreckskerl! Kerek will dir das Leben retten, und du bist zu dumm, um das zu kapieren. Laß ihn zufrieden! Wenn du ihn noch einmal schlägst, kriegst du es mit mir zu tun.«
Ragnor versuchte, ihre
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