Der Herr der Falken - Schlucht
einziges, unüberschaubares Durcheinander«, brummte Merrik.
KAPITEL 8
Ragnor musterte Cleve mit wachsendem Unmut. Der Mann sah gräßlich aus mit dieser gezackten, weißen Narbe, die sich wie ein Halbmond von der Augenbraue bis zum Mund zog. Die Narbe verunstaltete ihn und gab ihm ein gefährliches Aussehen. Er war kräftig gebaut und hochgewachsen wie ein Wikinger; sein Kinn war glatt geschabt, das goldblonde schulterlange Haar hatte er im Nacken zusammengebunden. Er gab sich gelassen und sprach in gesetzten Worten. Faszinierend an ihm waren seine Augen. Sie zogen Ragnor immer wieder in ihren Bann. Ein Auge war goldbraun, das andere blau. Mit Sicherheit ein Huch der Götter. Ragnor haßte ihn. Ob Frauen Gefallen an diesen zweifarbigen Augen fanden? Er wollte diesen Cleve umbringen, er hätte nicht kommen dürfen. Wieso war er mit diesem Bauernlümmel Rorik befreundet, der wie ein Gockel auf dem Mist auf seinem blöden Steinhaufen, den er Insel nannte, herumstolzierte.
Cleve war also Gesandter von Herzog Rollo, dem Gauner, der Chessa für seinen Sohn beanspruchte. Das hatte Kerek ihm voll Stolz gemeldet, und Ragnor hatte ihn reden lassen, obgleich er längst Bescheid wußte. Schließlich war es Kereks Aufgabe, das Gesindel auszufragen und ihm, Ragnor von York, seinem Gebieter, Bericht zu erstatten.
Dieser Cleve war von niederem Stand. Wieso konnte ein Sklave überhaupt Gesandter werden? Bei Allvater Odins Bart, er blieb dennoch Gesindel mit einer flinken Zunge. Nun saß dieser angeblich so wortgewandte Cleve stumm da, beobachtete und hörte zu. Ragnor haßte ihn für seine Selbstbeherrschung.
Ragnor wandte sich an Kerek: »Wir werden nicht zulassen, daß er sie irgendwohin bringt.« Dabei ließ er Cleve nicht aus den Augen, er konnte den Blick einfach nicht wenden. »Der Mann ist ein nichtswürdiger Sklave.«
»Er ist ein freier Mann«, wandte Kerek ein. »Lord Merrik gab ihm vor fünf Jahren die Freiheit. Und er ist Herzog Rollos Gesandter.«
»Das tut nichts zur Sache. Er ist Abschaum, auch wenn er
eine gewisse Wortgewandtheit an den Tag legt. Der Mann lebt gefährlich. Es hätte ihn bereits in Dublin erwischen müssen ... Aber er ist hier, und er ist am Leben. Und ich will
Chessa.«
»Ja, Ihr sollt die Prinzessin bekommen. Wir müssen allerdings behutsam vorgehen. Ich möchte nicht, daß Cleve Euch die Kehle aufschlitzt.«
Ragnor blickte Kerek verdutzt an. »Du klingst so mitfühlend. Willst du sie etwa für dich selbst? Aha, du verspürst Lust auf sie, hab' ich recht, Kerek? Sie ist ein hochmütiges kleines Miststück, das wird dir kaum entgangen sein. Für dich macht sie die Beine nicht breit.«
»Für Euch auch nicht, Mylord.«
Ragnor fuhr wutschnaubend hoch, als wolle er Kerek an die Gurgel fahren.
»Setzt Euch«, befahl Kerek mit eisiger Stimme. Ragnor lief ein kalter Schauer über den Rücken. »Ich weiß, wie wir die Prinzessin behalten«, setzte Kerek leise hinzu.
»Wirklich?«
»Ja. Setzt Euch und hört mir zu. Mylord.«
Ragnor setzte sich und stürzte einen Becher Met hinunter. »Ich will Utta. Sie hat diesen Met gebraut.«
»Die bekommt ihr nicht. Nun hört mir zu, Mylord.«
»Deine Art, mit mir zu reden, gefällt mir nicht. Du hast dich verändert. Du verhöhnst mich, und das dulde ich nicht. Ich lasse es nur durchgehen, weil du begriffen hast, daß du verglichen mit mir ein Niemand bist. Du erkennst mich als deinen Herrn an und gehorchst mir. Deine Aufgabe ist es, mich mit deinem Leben zu beschützen. Werde bloß nicht frech, sonst bist du des Todes.«
»Ihr seid ein Narr. Wenn Ihr mich tötet, jagt Euch die Prinzessin ein Messer in Euer schwarzes Herz. Habt Ihr so wenig Verstand, daß Ihr Euch nicht mehr daran erinnert, wie sie Euch ins Wasser warf, als Ihr mich geschlagen habt?«
»Sie hat mich überrumpelt. Und außerdem wollte ich ihr nicht weh tun. Es macht keinen sonderlich guten Eindruck, wenn ein starker Mann ein hilfloses Mädchen schlägt. Ich habe mich von ihr schlagen und ins Wasser stoßen lassen.
Aber dafür wird sie bezahlen. Ich habe nicht zum letzten Mal nach ihr getreten. Es hat mir gefallen, wie sie keuchend vor mir auf dem Boden lag.«
Kerek wunderte sich, wie schnell und unbedacht Ragnor die Maske fallen ließ. »Hört zu, Mylord. Wilhelm, der Herzog der Normandie wird nur eine Jungfrau heiraten.«
»Was denn sonst! Kein Mann von Stand würde eine Frau heiraten, die ein anderer angefaßt hatte. Und?«
Kerek hatte große Lust, ihm ins Gesicht zu schreien,
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