Der Herr der Falken - Schlucht
Dabei küßte er sie liebevoll auf die Stirn und drückte sie an sich.
»Aber sie sagt, ich sehe aus wie du, Papa.«
»Ja, Cleve«, warf Rorik ein. »Widersprich deiner Tochter nicht.«
Kiri streckte Rorik die Arme entgegen. Er nahm sie und drückte sie an sich. »Du riechst genauso gut wie meine Aglida. Chessa, gefällt dir mein Töchterchen? Wird sie einmal die zweitschönste Frau der Welt sein?«
Ragnor näherte sich schwankend der Gruppe und spielte den Betrunkenen. »Was soll dieser Unsinn? Sie ist nur ein kleines Mädchen und daher wertlos. Wieso redet ihr davon, daß sie eines Tages schön ist? Eines Tages sind wir alt oder tot, und ihre Schönheit interessiert uns nicht mehr. Komm Chessa, ich habe mit dir zu reden. Bald wirst du meine Frau und mußt lernen, mir Gehorsam zu erweisen. Komm.«
Chessa wandte sich unwirsch an Ragnor. »Geh weg!« fauchte sie.
Er machte ein erschrockenes Gesicht. »Du willst, daß ich gehe? Du willst nicht, daß ich allein mit dir rede? Willst du denn, daß alle hören, was gesagt werden muß?«
»Geh weg, Ragnor. Was du zu sagen hast, interessiert mich nicht. Du hast zuviel von Uttas Met getrunken.«
»Nein. Kerek sagte, ich müsse für diese Aussprache einen klaren Kopf haben. Komm jetzt, sonst hören alle, was ich zu sagen habe.«
Kerek nickte Ragnor unmerklich zu und wunderte sich, wie der Prinz es schaffte, die Aufmerksamkeit aller auf sich zu lenken. Die Leute rückten näher und horchten auf.
»Es ist mir egal«, entgegnete Chessa. »Nichts, was du von dir gibst, ist von Bedeutung. Dein Schiff ist wieder seetüchtig. Verlaß die Habichtsinsel. Niemand will dich hier haben.«
»Wann ich in See steche, geht dich nichts an. Du bist nur eine Frau und hast keine Ahnung.« Kerek räusperte sich verhalten. Ragnor schluckte und setzte erneut an: »Komm jetzt. Ich habe etwas Wichtiges mit dir zu besprechen, das nur uns beide betrifft. Nur dich und mich.«
»Heraus mit der Sprache, Ragnor!« forderte Rorik barsch. »Chessa liegt nichts an einer Aussprache mit Euch. Sagt also hier, was Ihr zu sagen habt.«
»Du kannst den Herzog der Normandie nicht heiraten.«
Cleve entgegnete leichthin: »Natürlich kann sie. Und sie wird Wilhelm heiraten. Sie muß ihn heiraten. Der Vertrag ist unterschrieben. Der einzige Grund, warum Ihr noch am Leben seid, ist die Tatsache, daß Ihr einmal König des Danelagh sein werdet. Überfordert unsere Geduld nicht.«
Chessa blickte Cleve stumm an. Und in diesem Augenblick wurde ihm klar, daß sie sich weigern würde, Wilhelm zu heiraten, und wenn sie mit dem Leben dafür bezahlen müßte. Und er würde sowohl Rollos als auch Sitrics Vertrauen verlieren. Und was würde aus Chessa werden?
Ragnor sprach mit dem ganzen Stolz eines Wikingers, der ein Christenkloster geplündert hatte: »Die Prinzessin kann den Herzog der Normandie nicht heiraten, weil ich sie bereits beschlafen habe. Ich habe sie mehrmals genommen. Sie ist keine Jungfrau mehr. Vermutlich trägt sie bereits mein Kind unter dem Herzen, den künftigen Herrscher des Danelagh. Ja, den künftigen Herrscher, nachdem ich das Land als König viele, viele Jahre regiert habe.«
Es entstand ein höllischer Aufruhr.
Kerek senkte den Kopf, um sein zufriedenes Grinsen zu verbergen. Ragnor machte seine Sache gut. Es versetzte ihn immer wieder in Erstaunen, mit welcher Überzeugung er den achtbaren Mann zu spielen verstand. Er wartete die Reaktion der Prinzessin ab. Sie blickte Ragnor unverwandt an, öffnete den Mund. Er erwartete ihren empörten Aufschrei, ihr lautstarkes, leidenschaftliches Dementi. Er bereitete sich auf seine Aussage vor, die Ragnors Rede bestätigen sollte. Er mußte es tun, zum Besten des Landes.
Doch sie klappte den Mund wieder zu. Ihr Gesicht strahlte eine Unschuld aus wie das sanfte Licht einer Öllampe. »Und was soll das daran ändern, Mylord? Du hast mir also mehrmals Gewalt angetan? Ich haßte es, wie ich dich hasse. Denn du bist ein eiskalter Klotz, grausam und selbstsüchtig. Und wen kümmert das?«
Ragnor machte ein Gesicht wie ein Fisch, der aufs trockene geworfen wurde. Sein Mund öffnete sich und schloß sich wieder. Er sah aus, als würge man ihn. Er glotzte sie fassungslos an. Kerek beeilte sich zu versichern: »Prinzessin, es ist ohne Belang. Euch trifft nicht die geringste Schuld. Ihr müßt nur einsehen, daß Herzog Wilhelm Euch als Gemahlin verschmähen wird. Ein Mann seines Standes will eine jungfräuliche Braut heimführen.«
»Ich verstehe«,
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