Der Herr der Falken - Schlucht
daß er der größte Einfaltspinsel sei, der ihm je begegnet war. Doch er schluckte seinen Groll hinunter und dachte an Chessa, in der festen Überzeugung, daß sie es verstehen würde, mit Ragnor und seinem Vater Olric umzugehen. Sie würde eines Tages das Danelagh retten. Er wußte es. Sie war keine normale Frau, wie sie behauptete. Sie war jung und unerfahren, doch er spürte, was in ihr steckte. Er würde dafür sorgen, daß diese Eheschließung zustande kam. Dann würde er ihr Ratgeber, ihr Lehrer sein, er würde ihr helfen, ihre Kräfte zu entdecken und zu formen. Turella würde ihr ebenfalls beistehen und sie unterrichten. Beide würden für sie da sein, immer und zu jeder Zeit. Geduldig erklärte er Ragnor: »Wenn Ihr die Prinzessin vergewaltigt hättet, würde Wilhelm sie Euch überlassen, da er nicht riskieren könnte, daß sie von Euch schwanger ist.«
Ragnor glotzte Kerek mit offenem Mund an. »Bei Thors Hammer, wie dumm du bist, Kerek. Ich wollte sie nehmen, und du hast mich zurückgehalten. Ich hätte meinen Samen in sie ergossen, doch du hast mich daran gehindert.«
Kerek juckte es in den Fingern, Ragnor zu würgen. Mühsam zwang er sich zur Ruhe. »Es ist doch völlig gleichgültig, daß Ihr sie nicht genommen habt. Ihr müßt nur behaupten, es getan zu haben.«
»Aber sie wird leugnen. Ich könnte sie verprügeln, dann würde sie vielleicht den Mund halten. Um das zu erreichen, müßte ich sie allerdings besinnungslos schlagen.«
»Wenn Ihr sie besinnungslos schlagt, würden Lord Rorik oder Cleve Euch umbringen, ungeachtet Eurer hohen Stellung. Nein, Ihr behauptet einfach, ihr Gewalt angetan zu haben, und daß sie keine Jungfrau mehr ist.«
»Sie wird leugnen und versuchen, mich dafür umzubringen.«
Kerek zuckte die Achseln. »Welche Frau gibt schon gern zu, daß sie vergewaltigt wurde. Die Prinzessin wird da keine Ausnahme machen.« Aber die Prinzessin war nicht wie andere Frauen. Sie war unerschrocken und hatte den Mut und den Willen eines Kriegers. Unter seiner und Turellas Anleitung würde sie zu einer mächtigen Frau heranreifen. Sinnend sagte er: »Wer glaubt schon einer einfältigen Frau? Um Eure Aussage zu bekräftigen, werde ich die Vergewaltigung bezeugen.« Und beiläufig fügte er hinzu: »Ich werde zu verhindern wissen, daß sie Euch tötet.«
»Du redest nichts als Unsinn, Kerek. Sie wird schreien und auch dich angreifen. So eine wie die wird sich nie fügen. Sie wird sich mir niemals unterwerfen. Ich will sie nicht. Mein Vater soll meine Mutter zum Teufel jagen, die sowieso nur noch Unkraut in ihrem Garten jätet. Dann soll er Chessa heiraten. Ich will Utta. Sie braut wunderbaren Met, süß und stark. Jedesmal wenn ich sie anschaue, begehre ich sie mehr. Ich glaube, sie will mich auch, deshalb macht sie den Met so stark. Sie braut ihn für mich, nicht für dieses Scheusal Haakon.«
Und Kerek flehte in Gedanken: Mögen die Götter mir Kraft geben.
Sie ging ihm aus dem Weg. Seltsamerweise störte ihn das. Sie wirkte blaß, in sich gekehrt. Das Haus war nicht nur zu den Mahlzeiten zum Bersten voll. Ein gutes Dutzend Männer nächtigte im Vorraum der Badehütte. Andere schliefen sogar im Kuhstall.
Was ging in ihr vor?
Er dachte an ihre Freude, als sie ihn sah und zunächst glaubte, einen Geist zu sehen. Doch dann erkannte sie ihn, Cleve von Malverne. Sie war ihm mit offenen Armen entgegen gelaufen, hatte ihn geküßt, ihm offen gestanden, daß er ihr gefehlt hatte. Er hatte sich danach gesehnt, ihre Lippen auf den seinen zu spüren, aber er hatte sein Gesicht abgewandt.
Er drehte sich vorsichtig zur Seite, um Kiri nicht zu wecken, die an ihn geschmiegt schlief. Sie seufzte im Schlaf, und er küßte sie sanft auf ihren goldenen Scheitel.
Er sah Chessas Gesicht vor sich, als sie begriff, daß Kiri seine Tochter war. Die Kleine saß auf Cleves Arm und hatte Chessa freimütig angelächelt. Chessa sagte schließlich freundlich: »Du siehst deinem Vater sehr ähnlich. Du wirst einmal die schönste Frau der Welt sein.«
»Wirklich?« hatte Kiri geantwortet. »Bin ich so schön wie mein Papa?«
»Ja, das bist du.«
»Du bist aber nicht halb so schön wie mein Papa«, entgegnete Kiri altklug. »Aber du bist ehrlich, und du hast einen guten Blick.«
Cleve lachte, warf seine Tochter in die Luft und fing sie geschickt wieder auf. Die Kleine quietschte vor Vergnügen, und er warf sie noch einmal in die Luft. »Du bist frech, Kiri. Die Prinzessin wird dich für eingebildet halten.«
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