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Der Herr der Falken - Schlucht

Der Herr der Falken - Schlucht

Titel: Der Herr der Falken - Schlucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Catherine Coulter
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stand.
    »Hast du dich wieder halb zu Tode gehungert?« raunte er seiner Tochter zu.
    Sie hob ihm schweigend ihr ernstes Gesicht entgegen. Erstaunlicherweise sah sie gar nicht ausgehungert aus.
    Chessa reichte ihm einen Beutel Wasser. Er trank in tiefen Schlucken, bis der Beutel leer war. Dann reichte sie ihm einen Streifen Trockenfleisch, den er gierig verschlang. Er war noch nie so hungrig gewesen. Vor Jahren, als er noch ein kleiner Junge war und seinem Herrn einen Becher Wein nicht schnell genug brachte, hatte man ihn auch hungern lassen. Er setzte einen zweiten Wasserbeutel an. Chessa gab ihm noch einen Streifen Trockenfleisch.
    Sie schaute sich um. Die Männer aßen und tranken gierig. Sie waren zu schwach, um alleine gehen zu können. Jeder von Roriks Männern mußte einen Gefangenen stützen oder tragen. Sie entdeckte Merrik. Wäre er nicht mehr am Leben, hätte Rorik die Stadt York dem Erdboden gleichgemacht.
    Keine Woche länger, und alle wären verhungert. Sie verspürte große Lust, Ragnor zu töten. Und Kerek. Sogar Torric, den Schiffsführer.
    »Warum knurrst du, Papa? Du klingst sehr wütend.«
    »Ich knurre nicht. Ich kaue nur an diesem köstlichen Fleisch.«
    »Nein, nicht du Papa. Mein zweiter Papa ist sehr wütend.«
    Cleve hatte keine Ahnung, wovon Kiri redete. Vielleicht war er schon dem Wahnsinn nahe. Die Tage und Nächte waren in endloser Finsternis ineinander geflossen. Die von Hunger und Durst gequälten Männer hatten auf den Tod als Erlösung gewartet. Als Kerek Essen und Wasser brachte, hatten sie geglaubt, er wolle ihre Qualen nur noch steigern, um die Stunde ihres Todes hinauszögern. Aber er war immer wieder gekommen; nicht oft genug, aber er hatte sie vor dem Verhungern gerettet. Dennoch faßten die Männer kein Vertrauen zu ihm. Er war Teil von Ragnors bösem Spiel und von seiner niederträchtigen Grausamkeit. Alle wußten, daß sie sterben mußten. Nur Merrik wiederholte unermüdlich: »Rorik holt uns hier raus.« Und nun war Rorik tatsächlich gekommen.
    Jeder der Befreier half einem Gefangenen. Vorsichtig schlichen sie aus der Gefängnisbaracke, gebückt und lautlos. Cleve sog die frische Nachtluft tief in seine Lungen. »Wir haben alle schon aufgegeben«, flüsterte er. »Nur Merrik glaubte an unsere Rettung. Danke.«
    Gunleik grinste. »Noch haben wir es nicht geschafft, Cleve. Spar dir deine Dankesworte, bis unser Schiff dieses verdammte Danelagh hinter sich hat.«
    Es geschah blitzschnell. Plötzlich tauchten zwei Männer aus dem Dunkel auf. Einer packte Chessa, der zweite griff sich Kiri und hielt die Kleine vor sich, die Hände um ihren Hals gelegt. Er schrie: »Keine Bewegung! Sonst dreh ich der Kleinen den Hals um.«
    Cleve starrte in hilflosem Entsetzen auf seine Tochter. Jemand hatte von ihrer Flucht gewußt. Aber warum Kiri? Warum Chessa? Wo waren die anderen bewaffneten Soldaten, um die Männer zu töten?
    Als der Kerl sich auf Chessa stürzte, war sie einen Moment ebenso gelähmt vor Schreck wie die Männer. Im nächsten Augenblick umfing ihre Hand den Griff des Messers, ohne es aus der Scheide zu ziehen. Ohne einen Laut von sich zu geben sackte sie leblos in sich zusammen.
    »Sie hat das Bewußtsein verloren«, brummte der Mann und versuchte, sie auf die Beine zu ziehen.
    »Schau sie dir genau an, Erek. Sie soll ein ganz durchtriebenes Luder sein. Ich denke nicht...«
    Mitten im Satz wurde er von Ereks Schrei unterbrochen. Chessa hatte ihm einen gezielten Faustschlag an den Hals versetzt. Sein Griff löste sich, er sackte in die Knie, und seine Hände griffen an den Hals. Blitzschnell hatte sie das Messer gezogen, packte Erek an den Haaren, riß ihm den Kopf zurück und hielt ihm die Schneide an den Kehlkopf. Mit ruhiger Stimme befahl sie: »Sag ihm, er soll das Kind loslassen, oder du bist ein toter Mann.« Sie drückte ihm die Schneide ein wenig ins Fleisch, nur so tief, daß er die Nässe seines Blutes spüren konnte.
    »Laß das Kind los, Olaf! Ich will nicht sterben.«
    »Laß sie los!« Cleve trat drohend einen Schritt näher. »Gib mir das Kind.«
    »Verzeih, Cleve, aber ich muß sie behalten, wenigstens noch eine Weile.« Es war Kerek, der aus dem Schatten trat.
    Die Männer waren wie Sklaven über eine Woche in Ketten gelegen und nun saßen sie wieder in der Falle und mußten dem Geschehen hilflos zusehen. Langsam bildeten sie einen Kreis.
    »Kerek«, rief Rorik. »Was soll das?«
    »Du hast uns Essen und Wasser gebracht«, sagte Merrik. Du hast uns am Leben

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