Der Herr der Falken - Schlucht
dem Griff zuerst an Kerek aus.
»Danke, Prinzessin«, sagte Kerek und wandte sich an die Männer. »Merrik, Cleve, ich bedauere, daß Ragnor nicht auf mich gehört und euch gequält hat. Doch jetzt seid ihr frei und könnt in die Heimat zurückkehren und euer Leben wie gewohnt fortführen. Cleve, du wirst Herzog Rollo von der Vermählung der Prinzessin mit dem Thronfolger des Danelagh in Kenntnis setzen. Merrik, den Silberraben findest du an der letzten Mole vertäut. Meine Männer holten das Boot aus seinem Versteck, sobald ich von Roriks Ankunft erfuhr. Es ist euer Schiff, auch wenn Ragnor es für sich beansprucht. Ihr findet Proviant und saubere Kleidung im Lagerraum.«
Kerek winkte seine beiden Gefolgsleute zu sich, wandte sich um und verschwand mit Chessa an seiner Seite unter den Bäumen.
Cleve achtete nicht auf die Warnungen der Freunde und wollte ihnen nach. »Nein, Cleve, noch nicht!» Merriks Worte hielten ihn zurück.
»Aber es muß einen Weg geben, sie zu befreien.«
»Wir finden eine Lösung«, beschwichtigte Hafter. »Merrik hat recht. Es ist der falsche Zeitpunkt. Ihr müßt erst wieder zu Kräften kommen. Es bedarf eines wohlüberlegten Planes. Wir holen sie zurück, Cleve.«
Gunleik legte seine große Hand auf Cleves Schulter. »Sie hat getan, was sie tun mußte. Sie ist Mirana sehr ähnlich. Sie paßt auf sich auf.«
Doch Cleve fragte sich wie. Sie neigte dazu, unüberlegt zu reden. Sie haßte und verachtete Ragnor und würde nicht zögern, ihm das ins Gesicht zu schleudern. Wenn der König sie nicht schützte, würde Ragnor sie umbringen. Cleve hatte Todesangst und unbeschreibliche Schuldgefühle.
Außerdem verspürte er einen namenlosen Verlust. Leere und eisige Kälte breiteten sich in seinem Innern aus. Kerek hatte ihn bedauert, weil er sie liebte. Wie lächerlich. Er hatte sich einmal zum Narren gemacht, als er Sarla glaubte. Immerhin hatte er ihr Kiri zu verdanken. Keine Frau würde es je schaffen, ihn an der Wahrheit zweifeln zu lassen. Sein Gesicht war entstellt, er hatte so gut wie keinen Besitz vorzuweisen. Was Chessa von ihm wollte, war ihm unerklärlich. Nein, sie konnte ihn nicht lieben. Das wußte er so sicher, wie er sich Sarlas Haß bewußt war.
Cleve ging in die Hocke und betrachtete seine Tochter forschend. »Diesmal bist du wohl nicht in Hungerstreik getreten.«
»Du bist an dem Tag nicht gekommen, an dem ich das achte Stäbchen zu den anderen legte.«
»Du weißt, daß ich verhindert war. Du darfst mich nicht für tot halten, wenn ich mich um ein paar Tage verspäte.«
Sie nickte. »Das hat Papa auch gesagt.«
»Ja, das hab ich eben gesagt. Wir sprechen später darüber. Jetzt müssen wir schleunigst von hier wegkommen. Hafter, bitte trag sie. Ich bin zu verdreckt.«
Auf dem Rückweg am Meer entlang sagte Cleve: »Ich darf Chessa nicht hier lassen. Sie hat sich für Kiri geopfert. Ich muß mir eine Lösung ausdenken, wie ich sie zurückhole.«
»Ja«, sagte Rorik über die Schulter. »Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, Cleve. Wir holen sie zurück.«
»Ich bring' den räudigen Hund um«, versicherte Merrik zähneknirschend. »Aber zuvor brauche ich ein Bad und eine Menge zu essen, damit ich wieder Fleisch auf die Rippen kriege.«
Gunleik mischte sich ein: »Ich habe euch gesagt, sie ist wie Mirana. Stark und eigensinnig. Und sie ist listig, genau wie Mirana.«
»Wie oft hast du schon geflucht, Mirana trage Schuld an deinen grauen Haaren,« schmunzelte Rorik.
»Das stimmt. Und dir verschafft sie auch graue Haare.«
Cleve hörte den Männern zu. Die Leere in seinem Innern wuchs.
An diesem Abend schlugen die Männer ihr Lager an einem schmalen, felsigen Meereseinschnitt auf. Sie waren gewaschen, sauber gekleidet und konnten nicht aufhören zu essen.
Zu Cleves Erstaunen verweigerte Kiri die Nahrung. Er hielt ihr ein saftiges Stück gebratenen Fasan hin. Sie schüttelte den Kopf.
»Was ist los? Ich bin wieder bei dir. Mir ist nichts geschehen. Ich bin hier. Iß.«
»Papa ist nicht da.«
»Was redest du da, Kiri?«
Rorik setzte sich neben Kiri und zog sie auf seinen Schoß. Das Feuer verströmte eine wohltuende Wärme, und der Duft des Fasans war köstlicher als der Kuß einer Jungfrau, wie Hafter schmatzend feststellte.
»Ich versteh' das nicht«, sagte Cleve. »Kiri ist wohlgenährt. Wie habt ihr sie dazu gekriegt, wieder zu essen, nachdem sie am achten Tag die Nahrung verweigerte?«
»Also die Sache ist die, Cleve«, fing Rorik an. »Kiri hat jetzt
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