Der Herr der Falken - Schlucht
Kerek. Sie konnten diese Habichtsinsel nicht finden. Sie sind in einen Sturm geraten, der sie von der Fahrtroute abgetrieben hat. Sie sagten, sie hätten nur durch Zufall nach York zurückgefunden. Ich hätte sie töten lassen können, da die Prinzessin jedoch ohne ihr Zutun zu uns gekommen ist, erscheint mir diese Maßnahme unnötig. Einer der Männer ist ein ausgezeichneter Seefahrer, es wäre ein Verlust.«
»Ich würde den Schiffsführer Torric töten lassen. Er hat den Männern die Fahrtroute angegeben. Außerdem hat er ein lahmes Bein. Er ist uns nicht mehr von Nutzen.«
»Torric und Kerek haben geplant, wie wir die Wikinger und die Prinzessin in die Hände bekommen. Ich habe ihn belohnt.«
»Das ist absurd. Ich war es, der Kerek vorschlug, die Männer zu betäuben. Ich wollte sie nicht im Kampf besiegen. Ich wollte sie foltern. Ich wollte Cleve langsam töten oder ihn als Sklaven verkaufen. Wußtest du, daß er ein ehemaliger Sklave ist? Ja, es war mein Plan. Kerek und Torric haben mir die Idee gestohlen.«
Nachdem eine Dienerin dem König sorgfältig den Mund mit dem weißen Tuch abgetupft hatte, sagte er ungerührt: »Lüg nicht, Ragnor. Erinnerst du dich an das Sklavenmädchen Mora? Du hast sie vergewaltigt, als du dreizehn warst und dann mit deiner Männlichkeit geprahlt, welch große Lust du ihr dabei verschafft hast.« Der König bedachte seinen Sohn mit einem milden Lächeln. Chessa lief ein Kälteschauer über den Rücken. »Wie sich herausstellte, war es natürlich der Anführer deiner Wachleute, der das Mädchen nahm, und du hast ihm dabei zugesehen. Hinterher hast du der Frau gedroht, sie zu töten, wenn sie je die Wahrheit ausplaudern würde.«
Chessa wußte genau, was in Ragnors Kopf vorging. Er konnte es kaum erwarten, seinen Vater auf dem Totenbett zu sehen. Am liebsten würde er Olric eigenhändig umbringen. »Das Mädchen hat gelogen«, gab er matt zur Antwort.
»Es war nicht das Mädchen, das mir die Wahrheit sagte. Es war deine Mutter. Sie ist meine Gefangene, ein unterwürfiges Geschöpf. Sie sieht alles, und sie erzählt mir alles.«
Ragnor stopfte sich einen großen Bissen Fisch in den Mund, der Saft tropfte ihm vom Kinn. »Das ist lange her. Aber Kerek ließ die Wikinger entkommen. Er hätte alle festnehmen können, auch Rorik und seine Männer. Er hat es nicht getan. Er ist ein Versager.«
Der König nahm einen Schluck aus einem zweiten mit Edelsteinen verzierten Kelch, den ihm die andere Dienerin an die Lippen setzte.
»Diese Utta wollte mich haben. Sie begehrte mich. Sie gab mir von ihrem köstlichen Met zu trinken. Sie wäre mit mir gekommen, wenn die Männer sie nicht zurückgeholt hätten.«
Chessa widersprach mit heller, klarer Stimme: »Utta hielt dich für einen Narren und einen Dummkopf. Sie schüttete dich mit Met voll, damit du nicht zudringlich wirst und keine Schwierigkeiten machst. Das ist ihr leider nicht gelungen, aber immerhin hat sie es versucht.«
Im Speisesaal herrschte völlige Stille. Die Sklaven und Dienerinnen erstarrten. Ein vorgekautes Stück Rindfleisch wurde dem König vergeblich an die Lippen gehalten. Er blickte Chessa unverwandt an.
Ragnor sprang auf die Füße, sein Gesicht hatte rote Flecken. Er drohte ihr mit der Faust. »Verfluchtes Miststück. Du hast hier nichts zu sagen. Du bist in meiner Gewalt, und ich tu mit dir, was mir beliebt. Ich prügle dich, wenn mir danach ist. Du hast mir gefälligst Respekt und Gehorsam zu erweisen.«
»Das habe ich bisher nicht getan. Wieso sollte ich jetzt damit anfangen? Du verdienst Respekt und Gehorsam ebenso wenig wie ich es verdiene, mit einem erbärmlichen Wicht wie du einer bist, verheiratet zu werden.«
Kerek stöhnte hörbar auf. Sie wußte, welch gefährliches Spiel sie trieb, doch sie mußte es riskieren.
Ragnor warf sich über den Tisch auf Chessa. Sein Angriff kam so unerwartet, daß der Gespielin des Königs ein kehliger Laut entfuhr, und sie das vorgekaute Stück Fleisch fallen ließ. Kerek sprang auf, riß Chessa zurück und stellte sich zwischen sie und Ragnor.
Ragnor ging nun wütend auf ihn los, seine Finger krallten sich um seinen Hals. Kerek packte Ragnors Oberarme, doch Ragnor hatte die größere Hebelwirkung. Chessa griff nach einem kunstvoll ziseliertes Tafelmesser und stieß es in Ragnors Handrücken. Er schrie auf, taumelte zurück und stürzte zu Boden. Eine Platte mit Wildschweinbraten hing schräg über der Tischkante. Saft und Fleischbrocken ergossen sich über Ragnor, der
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