Der Herr der Finsternis
war er stärker. Schließlich war ich erst vierzehn! Und er schon zwanzig. Außerdem brannte in ihm die Finsternis und er befand sich auf ureigenem Terrain.
»Ohne Len … « Kurt schielte zu seinem ehemaligen Junior. » … wärst du schon in den Bergen gestorben. Mein Fehler. Ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen. Den Mistkerl!«
Absolut gelassen und gleichgültig trat er Len in die Seite.
Len war tot, ihm konnte das egal sein …
Mir aber nicht.
In meinen Stoß legte ich die ganze Kraft, über die meine Flügel noch verfügten. Und alle Genauigkeit, die mir der Wahre Blick erlaubte. Ich schleuderte Kurt in Richtung der Verborgenen Tür.
Keine Ahnung, was ich mir davon versprach. Dass Kurt am Stein zerschellte oder dass …
Kurt flog drei Meter, bevor er mit dem Rücken gegen die Tür knal l te. Sie schwang auf, so leicht, als ob sie hundertmal pro Tag aufginge, öffnete sich sperrangelweit, direkt ins grelle Sonnenlicht hinein, in die Menge, die durch eine b e lebte Straße in einer unbekannten Stadt eilte.
Der Freiflieger gab keinen Ton von sich. Er führte seinen Kampf wortlos, streckte die Arme aus, und aus seinen Fingern fuhren spitze, lange Krallen heraus, mit denen er sich am Türrahmen festhakte. Kurt starrte mich an, als er auf der Grenze zwischen den Welten balancie r te. Hinter ihm gingen Menschen vorbei, völlig unbeirrt. Sie blickten nicht mal zu ihm hin.
Es war dann das Sonnenlicht, das Kurt fertigmachte. Er versuchte immer noch, durch die Tür zurück in seine Welt zu gelangen, doch seine Arme versteinerten bereits, und die schwarze Membran der Fl ü gel segelte wie federleichte Ascheflocken durch die Luft, auf die Me n schen, auf die beleuchtete Schwelle, auf die Verborgene Tür.
Mit einem leichten Klatschen stürzte Kurts Körper in sich zusa m men, zerfiel zu Staub. Erst jetzt reagierten die Menschen auf ihn und wichen ihm aus. Genau in dem Moment hielt auch die Mauer um die Verborgene Tür herum nicht mehr stand. Das Sonnenlicht hatte sie geschmolzen wie ein Dampfstrahl ein Stück Eis. Die Steinmauer krachte nach außen weg und Finsternis trat an ihre Stelle.
Die Verborgene Tür war verschwunden.
Ich rannte zu dem Loch, durch das kalter Wind hereinwehte. Die Steine fielen immer noch nach unten, denn bis zum Fuß des Turms waren es mindestens zweihundert Meter. Das, was noch von Kurt ü b rig war, landete in meiner Welt.
Tief in meinem Herzen wusste ich, dass ich ihn auch selbst hätte umbringen können. Dass ich Lens Schwert hätte nehmen und in dem Moment zuschlagen können, als Kurt versucht hatte, sich in den Turm zu retten. Aber ich war froh, dass mir das erspart geblieben war, denn ich wollte nicht töten.
Und gemalt hatte er ja wirklich gut.
Ich ging von der Mauer weg, zurück zu Len, hockte mich neben ihn und machte mich ungeschickt daran, seinen Puls zu ertasten. Dabei genügte ein Blick auf seine Wunde, um zu wissen: Das hatte absolut keinen Sinn.
Hartnäckig hoffte ich trotzdem auf ein Lebenszeichen – auch wenn sein Herz längst nicht mehr schlug.
7 Der Verlust eines Freundes
I ch saß immer noch neben der eingekrachten Mauer, die leere Sche i de des Wahren Schwerts im Schoß, und betrachtete den reglosen Len, als der Sonnenkater auf mich zugerannt kam.
»Ich habe gewusst, dass du deinen Wahren Feind erkennen wü r dest«, sagte er bloß.
»Du weißt immer alles im Voraus«, antwortete ich.
»Nein, Danka! Ich habe nicht damit gerechnet, dass … dass Len … «
Er hockte sich vor Len hin und berührte sein Gesicht mit der Pfote. Anschließend rieb er seinen Kopf an Lens Wange. Irgendwo in der Leere, die sich in mir breitgemacht hatte, flammte ein kleiner, warmer Stern auf.
»Du bist ja gewachsen, Kater! Du bist jetzt fast ein richtiger Zaub e rer! Also mach ihn wieder lebendig!«
»Was mich daran hindert, ist dieses #› fast #‹ «, brummte der Kater und kam zu mir.
Eine ganze Weile sahen wir uns an, bevor ich schließlich sagte: »Du willst mir also weismachen, dass wieder alles okay ist? Die letzte Verborgene Tür zur Erde ist zerstört, die Sonne scheint hier immer noch nicht, mein Freund ist tot – aber du findest, dass alles in Butter ist!«
Von den Bergen wehte kalter Wind herüber, der sich über die gün s tige Gelegenheit zu freuen schien, mal durch einen Turm zu fegen, der ihm vorher verschlossen war. Der Wind brachte Brandgeruch mit – den Geruch verbrannter Menschen.
Shokys Worte fielen mir wieder ein. Das ist unser Leben. Wir haben uns an
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