Der Herr der Finsternis
verlasse«, erklärte der K a ter. »Du dagegen hast deine Schlussfolgerungen anfangs nur daraus gezogen, wie die Händler aussahen, und später ausschließlich aus dem Wesen von Len. Das ist ein Doppelfehler.«
»Danka!«, rief Len plötzlich. »Kannst du wirklich in mir lesen wie in einem offenen Buch?«
Nervös wartete er auf eine Antwort. Da log ich. Wer hört denn schon gern, dass er kein Geheimnis mehr haben kann – selbst wenn es ein Freund ist, der alles von dir weiß. »Was gibt es denn da groß zu entdecken? Dich braucht man nur kurz anzusehen, dann weiß man Bescheid. Da werde ich meine Kräfte doch nicht verschwenden!«
Daraufhin beruhigte sich Len ein bisschen. »Danka hat recht. Wir müssen in die Stadt der Händler gehen«, meinte er schließlich mit einem Seufzer. »Ich wollte da schon lange mal hin … Nur müssen wir zuerst Shoky fragen, damit unser Haus in der Zwischenzeit an ni e mand anderen vergeben wird, immerhin habe ich mich daran g e wöhnt.«
Mit Shoky reden? Bei der Vorstellung, wie nach unserer heutigen Begegnung so ein Gespräch aussehen würde, schnaubte ich bloß.
»Ich werde mit ihm sprechen«, sagte Len tapfer. »Zwar weiß ich, dass er mich nicht gerade ins Herz geschlossen hat, aber es ist ja eine ehrliche Bitte … Die wird Shoky mir nicht abschlagen. Ich gehe am besten gleich zu ihm.«
»Nur zu«, spornte der Kater ihn an. »Derweil werde ich mir überl e gen, was wir mitnehmen müssen. Du hast doch nichts dagegen, wenn ich einen Blick in deine Schränke werfe?«
»Kein Problem«, meinte Len munter, während er aufstand. »Ach ja, noch etwas … erwartet mich nicht allzu schnell zurück. Ich werde noch bei meiner Mutter vorbeigehen, um mich von ihr zu verabschi e den.«
»Was sind wir nur für Dummköpfe«, grummelte der Kater, nachdem Len gegangen war. »Da haben wir völlig vergessen, dass er immer noch ein Junge ist, der eine Mutter hat … Was hast du denn, Danka? Warum weinst du?«
»Du unglückseliger Zauberer!«, heulte ich, während ich mein G e sicht in den Händen vergrub. »Ich habe auch eine Mutter! Und von ihr konnte ich mich nicht verabschieden.«
Zweiter Teil
Die Händler
1 Aufbruch aus der Stadt
G leich früh am Morgen packten wir unsere Sachen. Wir wollten nur das Nötigste mitnehmen, selbst wenn wir marschierten und nicht fl o gen. Wir wählten die besten Waffen (das tat Len), warme und gute Kleidung sowie ein wenig Proviant. Und natürlich ein paar neue Fl ü gel für jeden von uns, auf Vorrat.
Die Händler erreichten die Stadt am Mittag. Langsam näherte sich die Karawane dem Platz, die Begleitsoldaten brachten die Tiere dazu, sich hinzulegen, der Händler trat an die auf ihn wartenden Erwachs e nen heran und fing gleich mit dem Feilschen an.
Das ist natürlich nur so dahergesagt: Feilschen. Im Grunde diktierte er den Erwachsenen seine Bedingungen, denn diese hatten keine große Wahl. Der Händler schlug vor, ihnen die Hälfte seiner Waren zu übe r lassen – Lebensmittel, Stoffe und Waffen –, wenn im Gegenzug zehn junge Männer in den Dienst irgendeines Herzogs aus einer anderen Welt träten. Dabei betonte der Händler, dass es in dieser anderen Welt eine Sonne gebe und die Männer Flügel erhielten, die das Gewicht von Erwachsenen tragen könnten. Dann könnten sie wieder wie in der Kindheit fliegen.
Es gab ziemlich viele Freiwillige. Die Erwachsenen stritten sich s o gar, einigten sich am Ende aber doch. Wenn ich es richtig verstand, durften sie nach fünf Jahren zurückkehren, konnten aber auch vers u chen, bei jemand anderem anzuheuern beziehungswe i se den Dienst beim Herzog noch um weitere fünf Jahre zu verlängern, wobei sie dann nicht umsonst arbeiten müssten, sondern sogar Geld bekämen. Prompt versicherten die meisten Männer, sie würden nach fünf Jahren bestimmt zurückkehren. Das nahm ich ihnen aber nicht ab. Die and e ren übrigens auch nicht. Wer würde denn schon die Sonne, Flügel und den Dienst in der Garde eines Herzogs gegen eine dunkle, düstere Welt eintauschen, in der man nicht fliegen kann?
Nachdem die Erwachsenen alles ausgehandelt hatten, luden sie die Hälfte der Waren ab. Das war für uns die Gelegenheit, um an den Händler heranzutreten.
»Wir wollen für Sie arbeiten«, fing ich an.
»Das hätte ich nie für möglich gehalten«, meinte der Händler e r staunt und zog beide Augenbrauen hoch. »Schließlich begegnest du uns nicht gerade mit Respekt, mein Junge.«
»Wir wollen auch nicht lange in Ihren
Weitere Kostenlose Bücher