Der Herr der Habichts - Insel
ihr Halbbruder seine junge Frau vergewaltigt und getötet hatte.
»Was wirst du tun?« fragte sie schließlich. Angst bebte in ihrer Stimme.
»Ich treffe bald eine Entscheidung.« Er blickte auf die Wand hinter Mirana, wo die Waffen hingen, darunter auch das Schwert seines Großvaters, das von Gurd geschmiedet und seither von ihm gewartet und gepflegt wurde.
Rorik dachte an Kron, der sechs Monate lang seine Augen und Ohren in der Garnison des Königs in Dublin für ihn offen gehalten hatte, und der heute erst zurückgekehrt war. Sein Bericht machte Rorik klar, daß er sehr bald handeln mußte. Erstaunt und angewidert hatte er von König Sitrics Verhandlungen mit Einar gehört. Ja, er hatte nicht mehr viel Zeit. Sollte er sie davon unterrichten? Nein, es war noch zu früh.
Wieder blickte er auf das schön gehämmerte Schwert seines Großvaters. »Ich habe dir die Wahrheit gesagt. Mehr kann ich nicht tun. Kann ich dir vertrauen? Wirst du hier bei mir bleiben?«
Mirana erhob sich, ihre Fingerkuppen berührten seinen Unterarm, wodurch sie ihn zwang, den Blick zu ihr zu heben. Sachlich stellte sie fest: »Du hast mich geraubt. Du hast mich behandelt wie einen tollwütigen Hund. Du hast mich nicht geschont. Du hast mich angekettet. Du hast mich ausgepeitscht. Du hast mir deinen Fuß in den Nacken gestellt.«
Er schwieg. Das stimmte alles, bis auf die Tatsache, daß er sie nicht geschont hatte. »Wäre ich an deiner Stelle gewesen«, fuhr sie nach einer Pause fort, »hätte ich nicht anders gehandelt.«
Das hatte er nicht erwartet. Solche Worte aus dem Mund einer Frau zu hören, war Rorik nicht gewöhnt. Er spürte die Kraft ihrer Worte, ihre Aufrichtigkeit. Ihr Treueversprechen war etwas Kostbares, Wertvolles, wonach er sich sehnte.
Und er wiederholte: »Bleibst du auf der Habichtsinsel? Kann ich dir vertrauen?«
Kapitel 14
Nun wandte Mirana den Blick zu Entti, die auf der Bank saß, den Rocksaum kürzte und die beiden scheinbar nicht beachtete. Sie summte sogar leise vor sich hin. Mirana holte tief Luft und sprach, den Blick auf Roriks linkes Ohr gerichtet: »Wenn ich sage, daß du mir vertrauen kannst, wenn ich verspreche, keinen Fluchtversuch zu unternehmen . . .«
»Heißt das, du denkst daran, wieder zu fliehen?«
»Werde ich dann weiterhin deine Sklavin sein? Deine Gefangene, deine Geisel?« Noch während sie sprach, schüttelte er den Kopf. Doch die Fragen sprudelten weiter aus ihr heraus. »Werde ich weiterhin als Ausgestoßene behandelt? Von deinen Männern verachtet und gehaßt? Wirst du mich wieder an dein Bett ketten? Wirst du mir wieder den Fuß in den Nacken stellen wie auf dem Schiff? Wirst du mich wieder auspeitschen, wenn ich mich weigere, dich Herr zu nennen?«
»Nein.« Mehr sagte er nicht.
Sie wartete, aber er blieb stumm.
»Ich verstehe dich nicht«, sagte sie endlich. »Du sagst, du wirst mich nicht mehr schlecht behandeln. Aber was wirst du tun?«
»Ich werde dich heiraten.«
Die unbeabsichtigt ausgesprochenen Worte hingen plötzlich zwischen ihnen. Rorik hielt die Luft an, unfähig, ein weiteres Wort zu sagen. Bei den Göttern, er hatte ihr angeboten, seine Frau zu werden. Ihm war immer klar gewesen, daß er wieder eine Frau nehmen würde, bevor er zu alt war, um Söhne und Töchter zu zeugen. Aber das war nicht alles. Er wollte wieder eine Familie, mit allem, was dazugehörte wie Wärme, Freude und Leid. Ihm war es bisher nicht bewußt gewesen, wie lange er schon alleine war, wie in sich gekehrt er lebte, wie leer er sich fühlte. Aber sie zur Frau nehmen? Die Frau, die er geraubt hatte? Die Frau, deren Halbbruder sein Todfeind war?
Irgendwo tief in seinem Innern, vergraben unter vielen Schichten kalter Berechnung, gab es einen triftigen Grund, warum er gerade sie zur Frau haben wollte. Er wollte sie besitzen. Das war das Geheimnis. Er wartete ab. Er weigerte sich, an den dänischen König in Dublin zu denken, den alten König Sitric mit den wabbeligen Hängebacken und den zitternden, von der Gicht verkrümmten Händen.
Mirana blieb stumm. Ihn heiraten ... Er hatte ihr bisher keinerlei Zuneigung gezeigt, keinerlei Begehren zu erkennen gegeben. Selbst als er ihre Brüste liebkoste, tat er es, um sie zu demütigen, und nicht aus Wollust. Sie verstand ihn nicht, wußte aber, daß er ein vertrauenswürdiger Mann war. Von dieser Warte her betrachtet war die Sache einfach. Auf Clontarf erwartete sie nichts Gutes. Und bei dem Gedanken, wieder mit Einar unter einem Dach zu leben,
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