Der Herr der Habichts - Insel
von einer Frau? Welch ein Widersinn. Diese Frau war ihnen bislang nichts als ein Dorn, nein ein ganzes Dornengestrüpp in ihrer aller Augen. Er sagte: »Kron erzählte uns, der König will sie zur Ehefrau nehmen. Sie kann Königin werden, Rorik! Wieso soll sie einen einfachen Mann wie dich heiraten, wenn sie auch Königin werden und sich dann jeden Wunsch erfüllten kann.
Das ergibt keinen Sinn. Auch wenn König Sitric alt und siech ist und ihr kein Vergnügen im Bett bereiten kann, so ist er dennoch ein mächtiger, reicher König. Bedenke ihre Beweggründe, Rorik. Ich traue ihr genauso wenig wie der neuen Entti.
Du bist edelmütig, Rorik. Du tust es nur, um sie zu schützen, nicht wahr? Aber sie braucht keinen Schutz. Vielleicht willst du sie nur als Köder für Einar benutzen. Ist das dein Plan? Sag mir die Wahrheit, ich muß es wissen.«
»Hafter, du hältst jetzt deinen Mund. Ich habe dir die Wahrheit gesagt. Ich will Mirana heiraten. Sie wird meine Ehefrau und Herrin der Habichtsinsel sein. Sie wird mir treu ergeben sein und uns alle schätzen und achten. Ich vertraue ihr, und auch du mußt ihr vertrauen. Sie ist nicht hinterhältig, sie ist ehrlich. Sie will nicht Königin sein.«
»Pah! Seit wann bist du ein Dummkopf, Rorik? Seit du sie entführt hast, hat sich alles geändert. Ich begreife nichts mehr.« Er holte Luft, um weiter zu reden, sah Enttis finsteren Blick auf sich ruhen und verstummte. Er schaute zu Mirana, die bisher kein Wort gesagt hatte. Zum ersten Mal bemerkte er, daß sie überaus hübsch war, zierlich und feingliedrig, ihre makellose Haut war weiß wie der frisch gefallene Schnee in Vestfold, ihr volles Haar schwarzglänzend wie Rabenschwingen. Ihre Augen waren grün wie dunkles Moos, es waren schöne Augen, die sanft und geheimnisvoll leuchteten, ja, in diesen Augen, umgeben von schwarzen Wimpern, lagen Geheimnisse, die das Rätsel um sie noch vertieften. Und sie war tapfer und klug. Aber ... es war nicht richtig. Es war nicht klug. Doch konnte er es nicht verhindern. Er hoffte inständig, Rorik möge wissen, was er tat. Denn er glaubte nicht, daß Rorik sie heiratete, um sie zu beschützen oder sie dazu zu benutzen, um Einar in die Falle zu locken. Aus diesem Holz war Rorik nicht geschnitzt. Andererseits hatte Hafter sich in letzter Zeit schon häufiger geirrt.
Sein Kopf schmerzte noch immer von der jüngsten dieser schmerzlichen Erfahrungen. Nur die Götter wußten, was im Kopf der Frau und im Kopf von Rorik vorging.
Er schaute zu Entti, die ihn immer noch stirnrunzelnd fixierte — angespannt und bereit, ihn erneut anzugreifen. Er kratzte sich den Kopf an der Stelle, wo ihr Schlag ihn getroffen hatte. Auch bei ihr wußte er nicht, was sie dachte. Er mochte diese neue Entti nicht. So wandte er sich kopfschüttelnd ab und hörte Entti sagen: »Genau, du Schuft, dreh dich um, geh und versteck dich, verschließ dich vor der Wahrheit, die dir in dein Bocksgesicht starrt!«
Er sagte nichts, doch ihre Worte verwirrten ihn sehr. Er ging, schweigend und in Gedanken versunken.
Wenige Minuten später jedoch verschaffte sich Hafter lautstark Ruhe und verkündete allen Bewohnern die große Neuigkeit. Er klang dabei begeistert und freudig erregt. Sein Blick wanderte zu Entti, die ihn anlächelte und ihm das Gefühl gab, ein abgerichtetes Haustier zu sein, das brav ein Kunststück aufführte.
Die Frauen umringten Mirana, umarmten und küßten sie schmatzend ab und freuten sich, daß Herr Rorik endlich zur Vernunft gekommen sei. »Ja«, meinte die Alte Alna und machte ein weises Gesicht, »endlich heiratet er eine Frau, die wie seine Mutter klug, gütig und stark ist. Herr Rorik braucht eine starke Frau, weil er ein Krieger, ein Wikinger ist, rauhbeinig und schroff und manchmal maßlos in seinen Reden und seinen Taten.«
»Das hast du treffend gesagt«, pflichtete Amma ihr bei und wandte sich an Mirana: »Du hast Alna und Asta nicht sehr fest gebunden und brauchst deshalb keine Gewissensbisse zu haben. Sie haben deine Beweggründe verstanden. Wir Frauen sind stolz auf dich und deine Kriegslist.«
»Jetzt bleibt Gurd nachts bei mir«, meinte Asta lachend und umarmte Mirana. »Die neue Entti gefällt mir, und ich weiß, daß du nicht zuläßt, daß die Ehemänner ihren Frauen durch ihre Untreue Leid zufügen.«
»Ich werde mein Bestes tun«, entgegnete Mirana und lächelte die Frauen an, die sie versorgt hatten, ihr Essen gegeben und sie wie ihresgleichen behandelt hatten, ohne ihr Fragen zu
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