Der Herr der Lüfte
fragte mich, ob alle Frauen auf diese praktische und anziehende Weise gekleidet waren. Wenn ja, so sah ich ungeahnte Freuden, die sich mit meiner ungewollten Reise in die Zukunft auftaten!
Ich glaube, die Krankenschwester war etwas besorgt, als sie zurückkehrte, denn ich war von ihrer Erscheinung gleichermaßen in Verlegenheit versetzt wie fasziniert. Es fiel schwer, in ihr eine gewöhnliche, ehrbare - in Wirklichkeit recht spröde - junge Frau zu sehen, da sie für die Begriffe meiner Zeit wie ein Revuegirl gekleidet war! Ich nehme an, daß ich gut sichtbar rot geworden war, denn als erstes fühlte sie mir den Puls.
Eine kleine Weile später betrat Major Powell den Raum und zog sich den Metallstuhl neben mein Bett. »Na, wie fühlen Sie sich jetzt, alter Knabe?«
»Viel besser«, antwortete ich. »Ich nehme an, ich leide unter einem Gedächtnisverlust.« (Ich hatte diesen Satz so oft wiederholt, daß es schon fast so war, als wollte ich mich selbst überzeugen!)
»Der Doktor sagte das schon. Sehr wahrscheinlich. Und Sie erinnern sich an eine Bergtour, wie?«
»Ich glaube, mich an den Aufstieg in die Berge zu erinnern«, sagte ich wahrheitsgemäß.
»Hervorragend! Es wird nicht lange dauern, dann kehrt Ihr Erinnerungsvermögen zurück. Wissen Sie, ich interessiere mich gewaltig für das, was Sie erzählt haben. Für mich wäre es ein reiner Glücksfall gewesen, wenn Sie tatsächlich aus dem Jahre 1902 stammten, wie?«
Ich lächelte schwach. »Warum das, Major?«
»Es wäre nützlich gewesen für meine Forschungen. Teku Benga interessiert mich ganz besonders. Wissen Sie, die Stadt stellt in architektonischer und historischer Hinsicht ein Rätsel dar. Nach allen logischen Gesetzen dürfte es sie gar nicht geben.
Und eine Luftaufnahme, die wir davon anfertigen konnten, zeigt ein solch architektonisches Stilgewirr, daß man davon ausgehen muß, daß die Stadt eine Zeitlang Treffpunkt der unterschiedlichsten Kulturen aus aller Welt war. Kaum zu glauben, ich weiß.«
»Trotzdem stimme ich mit Ihnen überein«, sagte ich. »Und ich glaube außerdem, daß dort einige Kulturen vertreten sind, die aus Epochen vor jeglicher Geschichtsschreibung stammen. Es sind wirklich sehr, sehr alte Gebäude.«
»Es existieren natürlich einige Mythen darüber. Allerdings erstaunlich wenige. Die meisten Kumbalari-Priester kamen bei dem Erdbeben von 1902 ums Leben, und die restliche Bevölkerung der Gegend ist reichlich ungebildet. Nach dem Erdbeben sprachen sie überhaupt nicht mehr über Teku Benga, und die meisten mündlichen Überlieferungen waren verloren gegangen, bis ausgebildete Wissenschaftler in die Gegend kamen. Ich nehme an, das war Ihr Anliegen, was? Die Suche nach einer Erklärung. Eine verdammt gefährliche Expedition. So gefährlich, daß ich es mich nicht getrauen würde, nicht einmal per Luftschiff. Die Wetterverhältnisse schlagen so schnell um. Die bestausgerüstete Expedition könnte scheitern.« Er runzelte die Stirn. »Und doch ist es merkwürdig, daß ich von Ihrem Unternehmen niemals etwas gelesen habe. Ich dachte, ich hätte alles gelesen, was mit Teku Benga in Zusammenhang steht. Ich habe übrigens unsere Archivleute auf Sie angesetzt. Um herauszufinden, zu welchem Regiment Sie gehört haben und dergleichen. Bald werden Sie wissen, wer Sie sind. Und falls es sich herausstellt, daß Sie zu Hause Verwandte haben, werden wir Sie dorthin zurückschicken.«
»Das ist sehr freundlich von Ihnen«, sagte ich.
»Das mindeste, was wir tun können. Sind Sie eigentlich Archäologe? Können Sie sich daran erinnern?«
»Ich nehme an, in gewisser Hinsicht schon«, gab ich zu. »Ich weiß offensichtlich viel über die Vergangenheit und absolut nichts über … die Gegenwart.«
Er lachte kurz. »Ich glaube, ich verstehe Sie. So ist es wirklich. Man gräbt ständig in der Vergangenheit. In vieler Hinsicht war es damals ein Stück besser als heute, wie?«
»Diese Frage könnte ich besser beantworten, wenn ich mich an irgend etwas über die Gegenwart erinnern könnte.« Nun lachte ich.
»Ja, natürlich.« Sein Gesichtsausdruck wurde wieder ernst. »Sie wollen sagen, Sie können sich an alles erinnern, was sich bis zum Jahre 1902 zugetragen hat - was also weit vor Ihrer Geburt lag - und wissen nichts von der Zeit danach. Das ist der eigentümlichste Fall von Gedächtnisschwund, von dem ich jemals gehört habe. Sie müssen ein sehr guter Gelehrter gewesen sein, wenn Ihr ›Gedächtnis‹ so detailliert ist. Kann ich
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