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Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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geblieben - weil er so anständig aussah . Er war ein Teufel. Zweifellos hatte er in seiner langen Laufbahn als Anarchist und Verbrecher viele andere getäuscht und ebenso zum Narren gehalten wie mich.
    Ich stand auf und bewegte mich so steif, als stünde ich unter einem Betäubungsmittel. Ich trat an Barrys Spind, der dort einen großen Dienstrevolver aufbewahrte. Ich öffnete den Spind. Ich nahm den Revolver heraus und überzeugte mich, daß er geladen war. Ich steckte ihn in meinen Gürtel und zog meine Uniform darüber, so daß die Waffe nicht mehr zu sehen war.
    Dann setzte ich mich wieder und versuchte, einen Plan zu schmieden.
    Unser nächster Anlaufhafen war Kandahar in Afghanistan. Afghanistan war, wenn auch nominell mit Großbritannien verbündet, stets schwankend in seiner Treue. In Kandahar gab es Russen, Deutsche, Türken und Franzosen, die sich alle verschworen hatten, den Bergstaat auf ihre Seite zu ziehen und alle, wie Kipling dies nennt, das Große Spiel von Politik und Intrige spielen. Selbst wenn es mir gelingen sollte, mich von Bord zu schleichen, bestand keinerlei Gewißheit, daß ich in Kandahar ein offenes Ohr finden würde. Was dann? Das Schiff nach Jerusalem zurückzwingen? Auch dort gab es Schwierigkeiten. Nein, ich mußte warten, bis wir vom Aeropark Kandahar ablegten und Kurs auf unseren dritten Anlaufhafen Lahore in Britisch-Indien nahmen.
    Also mußte ich versuchen, mich bis nach Kandahar normal zu verhalten. Widerwillig legte ich Barrys Revolver in seinen Spind zurück. Ich atmete tief ein, versuchte, meine Züge zu entspannen und ging auf die Brücke.
    Ich werde wohl niemals begreifen, wie es mir gelang, meine neuen »Freunde« zu täuschen. In den folgenden Tagen führte ich meine normalen Aufgaben aus und arbeitete so zuverlässig wie immer. Nur im Gespräch mit Korzeniowski, Barry oder den anderen hatte ich Schwierigkeiten. Ich konnte mich einfach nicht dazu überwinden, mich belanglos mit ihnen zu unterhalten. Sie dachten, ich litte immer noch ein wenig unter den Nachwirkungen des Hitzeschlages und waren sehr verständnisvoll. Hätte ich sie nicht entlarvt gehabt, so hätte ich ihre Besorgnis für echt gehalten. Vielleicht war sie sogar echt - wenn man davon ausging, daß sie sich um das Wohlbefinden einer ihrer Männer sorgten.
    Kandahar war erreicht - eine in Stadtmauern eingeschlossene Stadt aus kahlen Steinbauten, die sich seit meinen Tagen nicht verändert hatte, dann hatten wir auch schon wieder abgelegt. Die Spannung in mir wuchs. Wieder bemächtigte ich mich Barrys Revolver. Mit Akribie prüfte ich die Karten und wartete auf den Augenblick, da wir die Grenze überflogen hatten und uns in Indien befanden (welches selbstverständlich völlig unter britischer Herrschaft stand). In einem Tag sollten wir in Lahore ankommen. Wieder einmal täuschte ich Übelkeit vor und blieb in meiner Kabine, um mir die abschließenden Details meines Plans zurechtzulegen.
    Ich hatte mich davon überzeugt, daß in der Regel keiner von den Offizieren oder Mannschaftsmitgliedern eine Waffe bei sich führte. Von diesem Faktum hing mein Plan ab.
    Die Stunden verstrichen. Gegen Mittag sollten wir in Lahore anlegen. Um elf Uhr verließ ich meine Kabine und betrat die Brücke.
    Kapitän Korzeniowski stand mit dem Rücken zur Tür und starrte durch die Wolkenfetzen auf die braunen, sonnenversengten Ebenen, die unter uns dahinzogen. Barry stand am Komputer und suchte die beste Einflugschneise für den Aeropark von La-hore aus. Der Funker stand über seine Geräte gebeugt. Die Steuerleute studierten ihre Anzeigen und Skalen. Keiner sah mich, als ich leise eintrat, den Revolver aus meinem Gürtel zog und hinter meinem Rücken versteckte.
    »Alles klar für Lahore?« fragte ich.
    Barry schaute hoch und runzelte die Stirn. »Hallo, Bastable. Fühlen Sie sich besser?«
    »Absolut Spitze«, sagte ich und hörte selbst den eigentümlichen Unterton in meiner Stimme.
    Barrys Ausdruck wurde noch finsterer. »Hervorragend«, sagte er. »Wenn Sie sich noch etwas ausruhen wollen, wir brauchen noch eine Dreiviertelstunde, bis wir anlegen…«
    »Mir geht es gut. Ich wollte mich nur überzeugen, daß wir auch nach Lahore kommen.«
    Korzeniowski drehte sich lächelnd um. »Warum sollten wir nicht? Haben Sie etwas aus dem Kaffeesatz gelesen?«
    »Nicht aus dem Kaffeesatz… Ich fürchte, Sie haben mich falsch eingeschätzt, Kapitän.«
    »Tatsächlich?« Er hob die Augenbrauen und paffte weiter an seiner Pfeife. Seine

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