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Der Herr der Lüfte

Der Herr der Lüfte

Titel: Der Herr der Lüfte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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überhaupt Mr. Persson sein, fragte ich mich - bestimmt ein weiterer Anarchist, den man gefaßt hatte.) Offenbar hatte ich keine großen Chancen, die nächsten Stunden zu überleben.
    Ich hatte eine Hoffnung. Johnson, der Funker, hatte über Dutschke gewiß nicht Bescheid gewußt. Wenn er auch andere Gründe haben mochte, auf der Rover zu dienen, so war er doch nicht überzeugter Sozialist wie die anderen. Vielleicht konnte ich Johnson irgendwie Patriot . Oder ihm meine Hilfe anbieten, falls er sie brauchen konnte, wenn er mir dafür half. Aber wie sollte ich zu Johnson Verbindung aufnehmen? Und falls mir das gelänge, geriete er nicht unter Verdacht, so daß man ihn nicht mehr an das Gerät ließ, um an einen britischen Aeropark einen entsprechenden Funkspruch durchzugeben?
    Ich starrte durch das winzige Bullauge meiner Kabine. Als wir in Lahore angelegt hatten, hatte Dutschke mich mit der Pistole bedroht, daß ich nicht schreien oder eine Botschaft aus dem Fenster werfen konnte. Meilenweit sah ich nur Wolken vorbeiziehen. Und ich hörte nichts als das ständige Dröhnen der schwerfälligen Motoren der Rover, die mich unaufhaltsam meinem Ende näherzuführen schienen.
    In Kalkutta kam Dutschke wieder in meine Kabine und richtete seinen Revolver auf meine Brust. Ich blinzelte hinaus in den Sonnenschein und auf eine Stadt in der Ferne, die ich zu meiner Zeit gekannt und geliebt hatte, doch nun war sie mir fremd. Wie konnten diese Anarchisten behaupten, die britische Herrschaft sei schlecht, da sie so stark zur Modernisierung Indiens beigetragen hatte? Das hielt ich Dutschke vor, der darauf nur lachte.
    »Wissen Sie, was in England ein Paar gute Stiefel kosten?«
    »Etwa zehn Shilling«, antwortete ich.
    »Und hier?«
    »Vermutlich weniger.«
    »In Kalkutta etwa dreißig Shilling - wenn Sie Inder sind. Etwa fünf Shilling für einen Europäer. Wissen Sie, die Europäer kontrollieren den Schuhmarkt. Während sie sie beim Hersteller kaufen können, muß der Inder sie im Laden erwerben. Der Einzelhandel muß dreißig Shilling berechnen, das ist soviel, wie ein Inder im Durchschnitt pro Monat verdient. Lebensmittel kosten in Delhi mehr als in Manchester, doch der indische Arbeiter verdient nur ein Viertel vom Lohn eines englischen Arbeiters. Wissen sie, warum sich das so verhält?«
    »Nein.« Das Ganze erschien mir nichts als ein Haufen Lügen zu sein.
    »Weil die englischen Preise und Gehälter künstlich aufrechterhalten werden auf Kosten der Kolonien. Alle Handelsabkommen begünstigen Großbritannien. Es setzt die Preise fest, zu denen es einkauft, verfügt über die Produktionsmittel, so daß der Preis unabhängig von den Marktfluktuationen stabil bleibt. Der Inder verhungert, damit der Brite tafeln kann. Das gilt für alle Kolonien, ›Besitzungen‹ und Protektorate, wie immer sie auch aufgezogen sein mögen.«
    »Aber es gibt doch Krankenhäuser, Wohlfahrtsprogramme und Arbeitslosenunterstützungen«, widersprach ich. »Indien hungert doch nicht.«
    »Das ist wahr - man hält es am Leben. Es wäre ja auch dumm, eine Reserve von verfügbaren Arbeitskräften ganz aussterben zu lassen, wenn man nie weiß, was man als nächstes benötigt. Sklaven bedeuten Reichtum, oder nicht?«
    Ich weigerte mich, auf solche Propaganda zu reagieren. Zum einen war ich nicht überzeugt, daß seine Wirtschaftstheorien richtig waren, zum anderen war ich überzeugt, daß er alles durch seine Weltanschauung verzerrt sah.
    »Ich weiß nur, daß es dem Durchschnittsinder heute besser geht als um die Jahrhundertwende«, sagte ich. »Ja besser als vielen englischen Menschen in jenen Tagen.«
    »Sie haben nur die Städte gesehen. Wissen Sie, daß die Inder nur in die Städte kommen dürfen, wenn sie eine staatliche Genehmigung dafür besitzen? Sie müssen eine Art Passierschein bei sich tragen, aus dem hervorgeht, daß sie hier eine Arbeit haben. Wenn sie keinen Job haben, werden sie aufs Land zurückgeschickt, wo Schulen, Krankenhäuser und all die anderen Vorteile britischer Herrschaft kaum vorhanden und weit voneinander entfernt sind. Dieses System gilt für Afrika wie für den Fernen Osten. Es wurde im Laufe der Jahre entwickelt und wird nun sogar in einigen europäischen Kolonien angewandt - im russisch besetzten Polen etwa und im deutsch besetzten Böhmen.«
    »Ich kenne das System«, erwiderte ich. »Es ist nicht unmenschlich. Es ist lediglich ein Mittel, um die Fluktuation der Arbeitskräfte unter Kontrolle zu halten und dafür zu

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