Der Herr der Ohrringe (German Edition)
wahrscheinlicher jedoch ist es, dass er seinen eigenen Zustand auf uns projizierte.«
Wiedervereint wanderten die Gefährten durch die Öden, suchten die Horizonte nach Frohdoofs Fußspuren ab, orientierten sich am Stand der Sterne – und kamen vollends vom Weg ab. Während Frohdoof fern im Westen durch die Dunkelheit des Schattenreichs stolperte, verzettelten sich die Fünf Freunde in unwichtigen Grenzscharmützeln weit im Osten, die Fahrduman angezettelt hatte – bis ihnen einfiel, dass sie sich verzettelt hatten.
»Sehet und verzweifelt!«, rief Marathorn eines Tages. »Wir haben weniger als Teilerfolge erzielt auf unserer Queste nach dem Ohrringträger, und es will mir scheinen, wir hätten uns verzettelt. Diese angezettelten Grenzscharmützel, sie haben uns unnötig aufgehalten. Könntet ihr mich nicht zwischenzeitlich daran erinnern, dass es unsere Aufgabe ist, Frohdoof zu finden, um ihn zu unterstützen auf seiner Fahrt zum Schicksalsteich?!«
»Wohin, dahin wir uns noch nicht wandten, sollen wir uns denn wenden? Wie viel schneller als wir vordem schon rannten müssen wir nun eilen?«, fragte Pymli atemlos, unterdessen ihm der Gedanke kam, dass es während hastiger Verfolgungsjagden förderlich sein könnte, nicht nur auszuatmen, sondern auch dem Einatmen ein lindes Interesse entgegenzubringen. Alldieweil bohrte er in für seine Statur enormen Nasenlöchern. Es waren nichtsdestotrotz seine eigenen.
»Was ist mit Ganzhalb, dem Grauen Zauberer?«, fragte nun Legospass. »Kann er uns immer noch nicht helfen?«
Marathorn warf sich auf den Boden, presste sein Ohr dagegen, lauschte und horchte eine lange Zeit, bis Pymli sich ein weiteres Mal fragte, ob der Zerschlissene vielleicht eingeschlafen wäre, dann erhob sich der Dauerläufer und sprach: »Entschuldigung, bin ganz kurz eingenickt. Jedenfalls: Auf Ganzhalb können wir nicht zählen für den Augenblick. Er fällt in den Abgrund, und der Pank Rog mit seinen verzehrenden Wassern fällt mit ihm!«
Da waren alle anderen beruhigt, nur Macho sagte: »Verdammt tief, der Abgrund!«
»Es handelt sich wahrscheinlich um den Unendlich Tiefen Schacht, wie er in vielen Liedern besungen wird«, erklärte Marathorn. »Doch drum kümmern werden wir uns nicht, zumindest vorerst nicht. Die eigentliche Aufgabe liegt beim Ohrringträger, und nimmer sollten wir ihn vergessen!«
»Auch nicht die Träger der anderen Einen!«, mahnte Legospass.
»Wir beginnen, sie zu vergessen!«, rief Macho erschreckt und patschte sich gegen die Wange.
»Ich vergaß sie schon!«, entsetzte sich Pipifax.
»Ich überlegte noch, das zu tun«, brummte Pymli.
Die Gefährten kamen überein, dass es ungehörig war, der anderen Abenteurer nicht zu gedenken – jedoch konnte keiner von ihnen ahnen, wie es den weit verstreuten Schatzträgern auf deren Abenteuer-Questen ergangen war.
Wie auch hätten sie wissen können, dass der strauchähnliche Waldschrat einen bitteren Tribut für die ausufernde Zecherei am Ufer des Flusses hatte bezahlen müssen: Selbst lange, nachdem er ins Wachsein zurückgefunden hatte, wollten sich Erinnerungen an sein früheres Leben nicht einstellen, und der Eine Armreif, der ihm ums Gelenk baumelte, blieb ihm ein Rätsel.
»Welche Bewandtnis hat es mit diesem Armreif, an den ich mich nicht erinnern kann?«, fragte er seine acht Wanderbegleiter. »Sprecht, ihr, an die ich mich nicht zu entsinnen vermag!«
Doch die hatten nicht weniger gesoffen als er!
Und einer murmelte: »Seltsam, dass es nicht eine Kette ist!«
»Gar nicht seltsam«, raunte ein anderer. »Das war doch nur ein Übersetzungsfehler!«
Die Albernen von den Farblosen Häfen hingegen ruhten sich zu jener Stunde im fernsten Westen am Ufer des Binnenmeeres von Ous-Ruhn aus – und hatten zur Sicherheit schon einmal das Eine Collier ins Wasser geworfen. Es tauchte gar nicht mehr auf! Sie befürchteten, womöglich die falsche Stelle zum Wegwerfen des kostbaren Kleinods auserkoren zu haben, doch während sie sich gegenseitig die Finger auf die Lippen legten, schworen sie einander: »Wir sagen’s einfach niemandem. Dann wird schon alles gut.«
Tand-im-Nil jedoch, der Träger des Einen Diadems, hatte sich auf seiner Fahrt zur Eisbucht von Ferroecheln in eine gutaussehende Schneefee verguckt, der das Diadem vorzüglich stand. »Ich kann sie unmöglich beide in die Eisbucht schmeißen«, sagte er sich – und verließ seine acht Diadem-Gefährten, die ihn ohnehin verärgert hatten, da sie in ihn gedrungen
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