Der Herr der Ohrringe (German Edition)
zurück, sodass ihre Schrittkombination der Nachwelt nichtig erscheinen musste.
»Hätte ich mir denken können, dass ihr hier steckt und einmal mehr in der Klemme«, sagte der Dauerläufer. »Habt ihr mir schon ein Bier bestellt?«
Etwas später, ohne erkennbare Ursache, es sei denn, es wären die ungezählten, jedoch tatsächlich nicht wenigen großen Humpen gewesen, die er zwischenzeitlich geleert hatte, verhedderte sich Frohdoof am Tresen, was außergewöhnlich war, da es selten vorkam, und siehe! er schwankte, ruderte mit den Armen, deren Schatten plötzlich von Wand zu Wand zu reichen schienen, warf Tabletts und Krüge um, es schossen Bierfontänen in die Luft, und der Eine Ohrring glitzerte unheilvoll in seinem Läppchen. Um von seiner spottenswerten Akrobatik abzulenken, begann der arme Döskopp lauthals ein Lied über Kühe und deren Reisen zum Mond zu singen. Das tückische Finsterkleinod in seinem Läppchen jedoch spielte ihm einen Streich, und plötzlich – denn vordem war es ja nicht so gewesen – wurde Frohdoof unhörbar. Die Rustikalen hoben einige der Augenbrauen, die sie im Gesicht hatten, und sie argwöhnten wohl magisches Gehampel hinter dem erstaunenswerten Unterfangen, was im Wirtshaus ›Zum Schwanken Esel‹ offenbar nicht wohlgelitten war; sie schienen wie entflammt von frischem Zorn.
Gerade als sie so wirkten, als würden sie wieder in Schrittkombinationslaune verfallen, zogen unerwartete Nebelschwaden ins Wirtshaus – und auf einmal rauschten die Nazgulashs herbei, durchbrachen Tore und Türen, zirkulierten irrwitzig und landeten mitten auf der Tanzfläche. Aber kaum, dass sie den Einen Ohrring vor den Nasen hatten, befiel sie ein weiteres Mal der Schatten des Tölpeltums: sie schlitzten Tischtücher auf und fielen über Servietten her, und ihre knochenförmigen Hände fuhren in irgendwelche Taschen, aus denen es für sie nichts Lohnenswertes zu holen gab. All dies, obgleich der Eine sie doch angeblich unentwegt anzog, wie es hieß!
»Eigentlich nicht hundertprozentig logisch«, kommentierte Macho. »Enorm, der Gespenster Tüddeligkeit!«
»Ich führe euch in die Wildnis! Sofort!«, rief Marathorn, in Windeseile Rucksäcke aufklaubend, die nahebei standen. »Da können wir herrlich streunen und streichen!«, und während die Dösköppe ihm hinterhersprangen in die Dickichte, fügte er an: »Fernab der Wege, die Sterbliche in diesen Tagen bewandeln! Ich kenne hier jeden Zweig.«
»Achtung, du hängst an einem fest!«, warnte Pipifax.
Neunzehntes Kapitel:
Vom Streichen durch die Öden
Tagelang krochen sie durch eine Art Unterholz, was sie langsam ärgerte, schien es ihnen doch auf jeder ihrer Wanderungen in die Quere zu kommen. Und später wateten sie durch den lehmigen Matsch des Wespennestmoors, bis sie in der Ferne die berühmte Silhouette der Unwetterkuppe sahen, auf deren Gipfel offenbar gerade jemand hopsend mit den Nazgulashs trainierte. Oder zumindest irgendetwas Höllisches vor sich ging. Vielleicht aber auch Infernalisches tobte. Jedenfalls: da war etwas, das unheimlich wirkte – eigentlich sogar mysteriös. Schatten und Feuer. Oder Blitze. Ein Licht flammte auf, genauer: etwas Lichtloses. Auf jeden Fall war es etwas Befremdliches, das da vonstatten ging. Ein Gellen wie von Schreien, aber eher lautlos. Jedoch waren sie zu fern, um irgendetwas Genaues ausmachen zu können.
Als der Dauerläufer und die vier Dösköppe eine Tageswanderung später unter dem Schatten des Berges einhertaperten, fiel sie ein Schrecken an, da Messer und Schneebesen über ihren Köpfen herpfiffen, offenbar in feindlicher Absicht losgeschleudert.
»Das Schleudern müssen sie aber auch noch üben, die ollen Gespenster! «, rief frohgemut Frohdoof. »Ich glaube im Übrigen, sie sind Bombenstil begegnet.« Genau in dem Augenblick, da die Häme in seiner Stimme nicht mehr zu überhören war, traf ihn eine Klinge in die Schulter.
»Sieht aus wie vergiftet«, analysierte Samenweis fachmännisch, als er die Waffe aus dem Arm zog. »Herr! Ob das ein gutes Omen ist, dass die Klinge jetzt in meiner Hand verdampft?«
»Myst-h!«, klagte Frohdoof.
»Wir sollten Kaiserkresse suchen!«, rief Marathorn.
»Um die heilkräftige Pflanze auf die Wunde zu legen?«, fragte Pipifax. »Eine wunderbare Idee, geboren aus Mitgefühl und heilkünstlerischem Sachverstand.«
»Man kann leckeren Tee draus machen. Der beruhigt uns«, entgegnete Marathorn. »Wir könnten Frohdoof ja einige Schlückchen abgeben.« Wie
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