Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Sockel vor einer Felswand, in die sich eine kleine Höhle hineinwölbte, wie eine Nische im Gestein. Frodo fand keine Ruhe. In der Nässe und Kälte hatte sein Zustand sich verschlimmert, und der Schmerz und das Gefühl einer inneren Sterbenskälte raubten ihm den Schlaf. Er warf und wälzte sich herum und horchte angstvoll auf die verstohlenen Geräusche der Nacht: den Wind in einer Felsritze, Tröpfeln von Wasser, ein Knacken, das Poltern eines jäh herabstürzenden Steins. Schwarze Gestalten, meinte er, schlichen heran, um ihn zu erwürgen, aber als er sich aufsetzte, sah er nur Streicher, der zusammengekauert mit dem Rücken zu ihm dasaß, seine Pfeife rauchte und Wache hielt. Er legte sich wieder hin und fiel in einen unbehaglichen Traum, in dem er über die Wiese seines Gartens in Beutelsend ging, aber das alles kam ihm trüb und blass vor, viel weniger deutlich als die großen schwarzen Schatten, die über die Hecke schauten.
Als er am Morgen erwachte, hatte der Regen aufgehört. Die Wolkendecke war noch immer dick, aber sie riss auf und ließ Streifen von blassem Blau durchscheinen. Der Wind sprang wieder um. Sie machten sich nicht gleich auf den Weg. Sofort nach dem kalten und knappen Frühstück ging Streicher allein fort; er sagte ihnen, sie sollten unter der Felswand auf ihn warten. Er wollte versuchen, zu den Höhen hinaufzusteigen, um einen Überblick zu gewinnen.
Was er sagte, als er zurückkam, war nicht beruhigend. »Wir sind zu weit nach Norden abgekommen. Wir müssen auf irgendeinem Weg wieder nach Süden. Wenn wir so weitergehen wie bisher, geraten wir in die Ettentäler weit nördlich von Bruchtal. Das ist Trollland, und ich kenne es kaum. Vielleicht könnten wir uns zurechtfinden und von Norden um die Berge herum nach Bruchtal gelangen; aber das würde zu lange dauern, denn ich kenne den Weg nicht, und unsere Vorräte würden nicht reichen. Also müssen wir irgendwie zur Bruinenfurt kommen.«
Den Rest des Tages stolperten sie durch felsiges Gelände. Sie fanden einen Durchlass zwischen zwei Bergen und gelangten in ein Tal, das sich nach Südosten erstreckte, die Richtung, die sie einschlagen wollten. Doch gegen Abend versperrte ihnen wieder ein hoher Landrücken den Weg; sein dunkler Kamm stach mit vielen kahlen Felszacken gegen den Himmel ab wie eine stumpfe Säge. Sie hatten nur die Wahl, ob sie umkehren oder ihn übersteigen wollten.
Sie beschlossen, den Aufstieg zu wagen, aber er erwies sich als sehr schwierig. Nicht lange, und Frodo musste absitzen und sich zu Fuß weiterschleppen. Auch so wussten sie oft nicht, wie sie das Pony hinaufbekommen oder, schwer beladen, wie sie waren, für sich selbst einen Weg finden sollten. Es wurde schon dunkel, und sie waren völlig erschöpft, als sie endlich den Kamm erreichten. Sie hatten einen schmalen Sattel zwischen zwei höheren Stellen erstiegen, und auf der anderen Seite, nur ein kurzes Stück weit voraus, fiel das Gelände steil wieder ab. Frodo ließ sich zu Boden sinken und blieb zitternd liegen. Sein linker Arm war abgestorben, in Seite und Schulter hatte er ein Gefühl, als hielten eisige Klauen ihn gepackt. Die Bäume und Felsen in der Nähe erschienen ihm verschwommen und schattenhaft.
»Wir können nicht mehr weiter«, sagte Merry zu Streicher. »Ich fürchte, für Frodo war das zu viel. Ich hab Angst um ihn. Was sollen wir tun? Glaubst du, in Bruchtal können sie ihn heilen, wenn wir je dort hinkommen?«
»Wir werden sehn«, antwortete Streicher. »Ich kann hier in der Wildnis nichts mehr für ihn tun, und hauptsächlich wegen seiner Wunde dränge ich so zur Eile. Aber du hast Recht, heute Abend können wir nicht mehr weiter.«
»Was ist bloß mit meinem Master Frodo?«, fragte Sam leise undsah Streicher flehentlich an. »Seine Wunde war nur klein und hat sich schon geschlossen. Es ist nichts mehr zu sehen als ein kalter weißer Fleck an der Schulter.«
»Frodo ist von den Waffen des Feindes verwundet«, sagte Streicher, »und in ihm wirkt ein Gift oder eine böse Kraft, gegen die meine Heilkunst nicht ausreicht. Aber gib die Hoffnung nicht auf, Sam!«
Oben auf dem Kamm wurde es eine kalte Nacht. Sie machten ein kleines Feuer unter den knorrigen Wurzeln einer alten Kiefer, die über den Rand einer flachen Grube hing: Es sah aus, als sei hier einmal ein Steinbruch gewesen. Sie drängten sich dicht aneinander. Ein kalter Wind blies durch den Pass, und sie hörten die Baumwipfel weiter unten ächzen und stöhnen. Frodo lag halb in
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