Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Wald im Norden, meinst du das?«, fragte Merry.
»Ja, ja, so ähnlich, aber viel schlimmer. Sicher, irgendein Schatten des großen Dunkels liegt noch da oben im Norden; und böse Erinnerungen pflanzen sich fort. Aber in diesem Land gibt es Schluchten, wo das Dunkel nie gelichtet worden ist und wo Bäume stehen, die älter sind als ich. Trotzdem, wir tun, was wir können. Wir halten Fremde und übermütige Wagehälse fern. Wir raten und belehren, wir hegen und pflegen.
Wir sind Baumhirten, wir alten Ents. Recht wenige von uns sind noch übrig. Die Schafe werden wie der Schäfer, heißt es, und der Schäfer wie die Schafe; doch das geht langsam, und beide haben nicht viel Zeit auf der Welt. Schneller und tiefer geht dies zwischen Bäumen und Ents, und sie gehen zusammen durch die Zeiten. Denn die Ents sind den Elben ähnlicher: weniger von sich selbst eingenommen als Menschen und besser imstande, sich in andere Dinge hineinzuversetzen. Doch in mancher Hinsicht sind sie auch wieder den Menschen ähnlicher: wandlungsfähiger als Elben und schneller bereit, die Farbe der Außenwelt anzunehmen, könnte man sagen. In einem sind sie auch besser als beide: Sie sind beharrlicher und beschäftigen sich viel länger mit den Dingen.
Manche meiner Verwandten sehen jetzt ganz wie Bäume aus, und es muss schon allerhand geschehen, um sie aufzurütteln; und sie sprechen nur noch flüsternd. Manche meiner Bäume aber sind beweglich in den Ästen, und viele können mit mir sprechen. Die Elben haben damit angefangen, wer sonst, die Bäume zu wecken, ihnen das Sprechen beizubringen und ihrerseits die Baumsprache zu lernen. Ja, die alten Elben wollten immer mit allem und jedem sprechen. Aber dann kam das große Dunkel, und sie fuhren übers Meer davon oder flohen in ferne Täler, hielten sich verborgen und machten Lieder über die Tage, die niemals wiederkehren. Nie und nimmer. Ja, alles war einstmals ein einziger großer Wald von hier bis zu den Bergen von Lhûn, und dies war nur der Ostzipfel.
Das waren noch Zeiten! Manchmal konnte ich den ganzen Tagherumlaufen und singen, ohne etwas anderes zu hören als das Echo der eigenen Stimme aus den Tälern. Die Wälder waren wie der Wald von Lothlórien, nur dichter, stärker und jünger. Und wie würzig die Luft war! Manchmal tat ich eine ganze Woche lang nichts als atmen.«
Baumbart schwieg. Er schritt mächtig aus und machte dennoch mit seinen großen Füßen kaum ein Geräusch. Bald begann er wieder vor sich hinzusummen, und dann ging er zu einem murmelnden Sprechgesang über. Erst allmählich merkten die Hobbits, dass er ihnen etwas vorsang:
Ich ging durch die Fluren von Tasarinan im Frühling.
Ah! Der Duft und die Farben des Frühlings in Nan-tasarion!
Und ich sagte: Dieses ist gut.
Ich zog durch die Ulmenwälder von Ossiriand im Sommer.
Ah! Die Musik und das Licht im Sommer an den Sieben Strömen
von Ossir!
Und ich dachte: Dies ist das Beste.
Zu den Buchen von Neldoreth kam ich im Herbst.
Ah! Das Gold und das Rot und das Seufzen der Blätter im Herbst
in Taur-na-neldor!
Jeder Wunsch war gestillt.
Zu den Kiefern im Hochland von Dorthonion stieg ich im
Winter hinauf.
Ah! Der Wind und das Weiß und das schwarze Geäst des Winters
auf Orod-na-Thôn!
Zum Himmel stieg meine Stimme auf und sang.
Nun aber liegen all jene Länder unter der Woge,
Und ich wandre in Ambaróna, in Tauremorna, in Aldalóme,
In meinem eigenen Reich, im Fangornlande,
Wo Wurzeln tief hinabreichen.
Und die Jahre schichten sich höher als Laub unter Bäumen
In Tauremornalóme.
Damit endete er und ging schweigend weiter. Im ganzen Wald, so weit das Ohr reichte, war kein Laut mehr zu hören.
Der Tag ging hin, und die Dämmerung flocht sich um die Baumstämme. Endlich sahen die Hobbits vor sich ein dunkles, steil ansteigendes Stück Land: Sie waren nun am Fuß des Gebirges, an den grünen Ausläufern des hohen Methedras. Von ihren Quellen weiter oben kam ihnen die junge Entwasser entgegen, geräuschvoll von Stufe zu Stufe springend. Zur Rechten des Bachs lag ein langer, grasiger Hang, der im Dämmerlicht nun grau erschien. Keine Bäume wuchsen dort, und am freien Himmel leuchteten schon Sterne aus den Seen zwischen den Wolkenufern.
Baumbart ging den Hang hinauf, und sein Schritt verlangsamte sich kaum. Plötzlich sahen die Hobbits eine breite Öffnung vor sich. Zwei große Bäume standen wie lebende Torpfosten zu beiden Seiten, doch abgesehen von ihren sich kreuzenden, den Eingang überwölbenden
Weitere Kostenlose Bücher