Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
hinableuchten.
»Natürlich ist es nicht unwahrscheinlich, Freunde«, sagte er bedächtig, »nicht unwahrscheinlich, dass wir in unser Verhängnis hineinlaufen: der letzte Marsch der Ents. Doch wenn wir daheim blieben und nichts täten, träfe uns das Verhängnis dennoch, früher oder später. Dieser Gedanke ist uns langsam im Herzen herangereift, und darum marschieren wir jetzt. Es war kein hastiger Entschluss. Wenigstens wird der letzte Marsch der Ents nun ein Lied wert sein. Ja«, seufzte er, »vielleicht können wir für die anderen Völker etwas tun, ehe wir verschwinden. Trotzdem, gern hätte ich noch erlebt, dass die Lieder über die Entfrauen wahr werden. Wie gern hätte ich Fimbrethil wiedergesehen! Aber so ist es nun mal, Freunde: Liedertragen wie Bäume Frucht nur zu ihrer Zeit und auf ihre Weise; und manchmal verdorren sie vorher.«
Die Ents schritten mächtig aus. Zuerst waren sie in eine lange Bodenfalte hinabgestiegen, die nach Süden abfiel; nun begannen sie den Aufstieg zu dem hohen Bergkamm im Westen. Der Wald blieb unter ihnen zurück, und sie kamen an verstreuten Gruppen von Birken vorüber, dann auf kahle Hänge, wo nur noch ein paar hagere Kiefern standen. Hinter dem dunklen Bergrücken vor ihnen ging die Sonne unter. Die graue Dämmerung brach herein.
Pippin schaute hinter sich. Die Zahl der Ents war gewachsen – oder was war da los? Auf den düsteren, kahlen Hängen, die sie eben durchquert hatten, glaubte er auf einmal Wäldchen zu sehen. Aber die Wäldchen bewegten sich! Konnte es sein, dass Fangorns Bäume erwacht waren, dass der Wald aufstand und über die Berge in den Krieg marschierte? Er rieb sich die Augen, im Zweifel, ob nicht Schläfrigkeit und das Halbdunkel ihn genarrt hätten; aber die großen grauen Flächen zogen beharrlich weiter. Ein Rauschen wie von Wind in vielen Zweigen war zu hören. Die Ents näherten sich nun dem Bergkamm, und alle Gesänge hatten aufgehört. Die Nacht senkte sich herab, und es wurde sehr still. Die einzigen Geräusche waren das leise Beben des Bodens unter den Tritten der Ents und ein Rascheln, das wie Geflüster von vielen dahingewehten Blättern klang. Endlich standen sie auf dem Bergkamm und blickten in einen dunklen Abgrund hinunter, die tiefe Kluft am Ende des Gebirges: Nan Curunír, Sarumans Tal.
»Nacht liegt über Isengard«, sagte Baumbart.
FÜNFTES KAPITEL
DER WEISSE REITER
I ch bin durchgefroren bis auf die Knochen«, sagte Gimli, schlug sich die Arme um den Leib und stampfte mit den Füßen auf. Endlich war es Tag. Im Morgengrauen hatten die Gefährten mehr schlecht als recht gefrühstückt; nun, da das Licht zunahm, machten sie sich bereit, den Boden noch einmal nach Spuren der Hobbits abzusuchen.
»Und vergesst den alten Mann nicht!«, sagte Gimli. »Mir wäre wohler, wenn ich den Abdruck eines Stiefels sehen könnte.«
»Warum würde dir davon wohler?«, sagte Legolas.
»Weil ein alter Mann mit Füßen, die Spuren hinterlassen, vielleicht nur wäre, was er zu sein schien«, antwortete der Zwerg.
»Vielleicht«, sagte der Elb; »doch hier vermöchte selbst ein schwerer Stiefel keine Spur zu hinterlassen: Das Gras ist hoch und federnd.«
»Das kann einen Waldläufer nicht beirren«, sagte Gimli. »Ein umgeknickter Grashalm genügt, und Aragorn weiß Bescheid. Aber ich erwarte nicht, dass er Spuren findet. Es war Sarumans Trugbild, das wir heute Nacht gesehen haben. Dessen bin ich mir sicher, selbst noch am hellen Morgen. Vielleicht behält er uns auch jetzt aus dem Fangornwald heraus im Auge.«
»Gut möglich«, sagte Aragorn, »aber so sicher bin ich mir nicht. Ich denke an die Pferde. Heute Nacht sagtest du, Gimli, sie seien weggescheucht worden. Aber so kam es mir nicht vor. Hast du sie gehört, Legolas? Klang es so, wie wenn die Tiere in Angst wären?«
»Nein«, sagte Legolas. »Deutlich habe ich sie gehört. Wäre es nicht dunkel, und wären wir selbst nicht so erschrocken gewesen, sohätte ich vermutet, dass sie von plötzlicher Freude wild wieherten. So klingen der Pferde Stimmen, wenn sie einem lange vermissten Freund begegnen.«
»So kam es mir auch vor«, sagte Aragorn, »doch dieses Rätsel kann ich nicht lösen, es sei denn, sie kommen zurück. Nun los, es wird rasch hell! Erst sehen, dann raten! Wir sollten hier bei unserem Lagerplatz anfangen und den Hang hinauf bis zum Wald alles genau absuchen. Wir wollen vor allem die Hobbits finden, wer auch immer unser nächtlicher Besucher gewesen sein mag. Wenn sie
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