Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
jemals in die Lieder und Geschichten hineinkommen werden. Klar, in einer Geschichte sind wir schon drin, aber ich meine, in Worte gefasst, du weißt schon, so dass man es sich Jahre über Jahre später am Herdfeuer erzählt oder aus einem dicken Buch mit roten und schwarzen Lettern vorgelesen hört. Wo die Leute dann sagen: ›Nun erzähl uns doch mal die Sache von Frodo und dem Ring!‹ Und die Kinder sagen: ›Klar, das ist eine von meinen Lieblingsgeschichten. Frodo, der war vielleicht tapfer, nicht Papa?‹ – ›Ja, mein Junge, der berühmteste aller Hobbits, und das will viel heißen!‹«
»Das will viel zu viel heißen«, sagte Frodo und musste lachen, laut und herzhaft lachen. Ein solches Geräusch hatte man an diesen Orten nicht mehr gehört, seit Sauron in Mittelerde war. Sam kam es plötzlich so vor, als ob selbst die Steine aufhorchten und die hohen Felsen sich lauschend über sie neigten. Aber Frodo kümmerte sich nicht darum; er lachte noch immer. »Ach, Sam«, sagte er, »wenn ich dir zuhöre, macht mich das froh, als ob die Geschichte schongeschrieben wäre. Aber du hast eine der Hauptpersonen weggelassen: Samweis, den Unerschrockenen. ›Papa, ich will noch mehr über Sam hören! Warum haben sie nicht mehr von seinen Sprüchen aufgeschrieben? Die mag ich, da muss ich lachen. Und ohne Sam wäre Frodo ja nicht weit gekommen, nicht, Papa?‹«
»Ach, nun mach du dich nicht drüber lustig, Master Frodo!«, sagte Sam. »Ich hab es ernst gemeint.«
»So hab ich’s auch gemeint«, sagte Frodo, »und so meine ich’s immer noch. Du und ich, Sam, wir sitzen immer noch fest in den schlimmsten Kapiteln unserer Geschichte, und es ist nur allzu wahrscheinlich, dass mancher Junge an dieser Stelle sagen wird: ›Klapp das Buch zu, Papa; davon wollen wir nichts mehr hören!‹«
»Vielleicht«, sagte Sam, »aber ich wär es nicht, der das sagen würde. Was geschehen und vergangen ist, daraus wird etwas ganz anderes, wenn man es sich als Stück von einer großen Geschichte erzählt. Ja, sogar Gollum könnte sich in einer Geschichte gut machen, besser jedenfalls, als wenn man ihn um sich hat. Und er hat früher selbst gern Geschichten gehört, wenn man ihm glauben kann. Ich frage mich nur, ob er sich für den Helden oder für den Schurken hält. Gollum!«, rief er. »Würdest du gern der Held in … na, wo steckt er denn nun wieder?«
Von Gollum war nichts zu sehen, weder an der Öffnung ihres Unterschlupfs noch in der schattenhaften Umgebung. Wie gewöhnlich hatte er von ihren Essvorräten nichts haben wollen, aber einen Schluck Wasser hatte er angenommen und sich dann, wie es schien, schlafen gelegt. Sie hatten angenommen, dass die Jagd nach irgendetwas für ihn Genießbarem wenigstens einer der Gründe gewesen sein musste, warum er am vorigen Tag so lange fortgeblieben war; und nun hatte er sich, während sie redeten, anscheinend wieder davongeschlichen. Zu welchem Zweck aber diesmal?
»Das passt mir gar nicht, dass er verschwindet, ohne ein Wort zu sagen. Und schon gar nicht jetzt«, sagte Sam. »Nach Essbarem kann er doch hier oben nicht suchen, wenn es nicht irgendeine Art Stein gibt, die ihm schmeckt. Nicht mal Moos wächst hier.«
»Es hat keinen Sinn, sich jetzt über ihn aufzuregen«, sagte Frodo. »Ohne ihn wären wir nie auch nur in Sichtweite des Passes gekommen, also müssen wir ihn so nehmen, wie er ist. Wenn er falsch ist, ist er eben falsch.«
»Trotzdem, ich würde ihn lieber im Auge behalten«, sagte Sam. »Umso mehr, wenn es doch sein kann, dass er etwas im Schilde führt. Erinnerst du dich, dass er nie sagen wollte, ob dieser Pass bewacht ist oder nicht? Und nun sehn wir einen Turm dort, und der kann verlassen sein oder auch nicht. Meinst du nicht, er könnte jetzt hingehn und die holen, Orks oder was immer das für welche sind?«
»Nein, glaub ich nicht«, sagte Frodo. »Selbst wenn er etwas im Schilde führt, und ich nehme an, das ist gar nicht unwahrscheinlich, dann glaube ich doch nicht, dass er das tun wird: die Orks holen oder irgendwelche andern Knechte des Feindes. Warum hätte er damit bis jetzt warten sollen und sich all die Mühe machen, uns hier heraufzubringen, so nah an dem Land, das er fürchtet? An die Orks hätte er uns schon etliche Male verraten können, seit wir ihn getroffen haben. Nein, wenn er etwas vorhat, dann ist es eine ganz persönliche kleine Gemeinheit, von der er denkt, dass nur er allein drüber Bescheid weiß.«
»Ich glaube, du hast recht, Herr
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