Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Felsbrocken jeder Größe lagen im Weg. Nur langsam und bedächtig kamen sie voran. Weder Frodo noch Sam wussten mehr, wie viele Stunden es her war, dass sie das Morgultal betreten hatten. Die Nacht schien kein Ende zu nehmen.
Schließlich standen sie wieder vor einer Wand, und wieder ging es eine Treppe hinauf. Wieder machten sie kurz halt, und wieder machten sie sich an den Aufstieg. Es wurde ein langes, mühsames Stück Weg; aber diese Treppe führte nicht ins Innere des Berges hinein. Die riesige Felswand neigte sich hier zurück, und der Weg schlängelte sich über sie hinweg. An einer Stelle kroch er seitwärts bis an den Rand des dunklen Abgrunds, und als Frodo hinabschaute, lag unter ihm, wie eine tiefe Grube, die Schlucht am oberen Ende des Morgultals. In der Tiefe schimmerte wie eine Kette von Glühwürmchen die Geisterstraße, die von der toten Stadt zum Namenlosen Pass heraufführte. Hastig wandte er sich ab.
Immer weiter und immer höher zog und wand sich die Treppe, bis sie endlich, nach einer letzten kurzen und geraden Flucht, wieder ebenes Gelände erreichte. Von der Hauptpass-Straße in der tiefen Schlucht war der Pfad abgewichen und nahm nun seinen eigenen Verlauf auf dem gefährlichen Grund einer Rinne zwischen den höheren Regionen des Ephel Dúath. Undeutlich konnten die Hobbits hohe Pfeiler und gezackte Felszinnen zu beiden Seiten erkennen, und dazwischen tiefe Risse und Spalten, schwärzer als die Nacht, wo längst vergessene Winter den sonnenfernen Stein zernagt und zerbissen hatten. Und das rote Licht am Himmel schien stärker zu werden; doch konnten sie nicht sagen, ob auch in dieser Schattenwüste etwas wie ein Morgen anbrach oder ob sie nur den Widerschein irgendeiner großen Gewalttat sahen, mit der Sauron hinterden Bergen die Ebene von Gorgoroth quälte. Immer noch weit voraus und hoch über ihnen sah Frodo, als er aufblickte, den Scheitelpunkt, wie er erriet, dieses beschwerlichen Weges. Gegen das stumpfe Rot am östlichen Himmel hob sich in der obersten Kammlinie eine schmale, tief eingekerbte Spalte zwischen zwei schwarzen Felsschultern ab; und auf jeder der beiden Schultern stand ein steinernes Horn.
Er blieb stehen und schaute genauer hin. Das Horn auf der linken Seite war hoch und schlank, und darin brannte ein rotes Licht, oder aber das rote Licht aus dem Land dahinter schien durch ein Loch. Nun sah er: Das Horn war ein schwarzer Turm, der über dem äußeren Pass aufragte. Er stieß Sams Arm an und zeigte hin.
»Gefällt mir gar nicht, wie das aussieht!«, sagte Sam. »Dein angeblich geheimer Weg ist also bewacht«, knurrte er Gollum an. »Wie du vermutlich die ganze Zeit gewusst hast?«
»Alle Wege sind bewacht, jawohl«, sagte Gollum. »Klar sind sie überwacht. Aber auf irgendeinem müssen Hobbits es versuchen. Dieser ist vielleicht am wenigsten bewacht. Sind alle mit in die große Schlacht gezogen, vielleicht.«
»Vielleicht«, brummte Sam. »Na, anscheinend ist es ja noch ein ganzes Stück weit und ein langer Anstieg bis dahin. Und dann kommt noch dieser Stollen. Ich finde, du solltest dich jetzt ausruhen, Herr Frodo. Ich weiß nicht, welche Tages- oder Nachtzeit wir haben, aber wir sind jetzt Stunden und Stunden gelaufen.«
»Ja, wir müssen uns ausruhen«, sagte Frodo. »Suchen wir uns ein windgeschütztes Plätzchen, wo wir wieder etwas Kraft schöpfen können – für die letzten Schritte bis zum Ziel.« Denn so war ihm zumute. Die Schrecken des Landes hinter den Bergen und die Tat, die dort zu verrichten war, schienen zu weit in der Ferne zu liegen, als dass sie ihn jetzt schon beschäftigen durften. All sein Sinnen war nur noch darauf gerichtet, durch diesen undurchdringlichen Wall mit seiner Bewachung hindurch oder drüber weg zu kommen. Wenn er dies Ding der Unmöglichkeit einmal hinter sich hätte, würde auch sein Auftrag irgendwie erledigt werden – so jedenfallsschien es ihm in dieser dunklen Stunde der Müdigkeit, als sie sich noch immer durch die steinernen Schatten zum Cirith Ungol hinaufschleppten.
In einem dunklen Spalt zwischen zwei großen Felspfeilern ließen sie sich nieder, Frodo und Sam ein Stück weit drinnen, Gollum nah bei der Öffnung. Dort nahmen die Hobbits, wie sie dachten, die letzte Mahlzeit ein, bevor sie ins Namenlose Land hinabstiegen, vielleicht ihre letzte gemeinsame Mahlzeit. Sie aßen etwas von dem Proviant aus Gondor und etwas von dem elbischen Reisebrot; und sie tranken ein wenig, eben genug, um sich die trockenen Münder zu
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