Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
aus derselben Richtung, aus der auch Frodo gekommen war.
Die zwei breiten eisernen Flügel des Schwarzen Tors unter dem abweisenden Bogen waren fest verschlossen. Auf der Mauer war nichts zu sehen. Wachsame Stille herrschte. Sie waren nun am Ziel ihres wahnwitzigen Unternehmens. Verloren und fröstelnd standen sie im grauen Morgenlicht vor Türmen und Mauern, gegen die vorzugehen für ihr Heer selbst dann aussichtslos gewesen wäre, wenn sie starke Belagerungsmaschinen mitgebracht hätten und der Feind nur über so viel Streitkräfte verfügte, wie zur Bemannung des Tors und der Mauer erforderlich waren. Sie wussten aber, dass in den Bergen und Felsen um das Morannon Scharen von Feinden versteckt waren und dass es in dem schattigen Engpass dahinter von wühlenden und tunnelgrabenden Unwesen nur so wimmelte. Und als sie da standen, sahen sie die Nazgûl alle beisammen: Wie Geier kreisten sie über den Zahntürmen; aber dass sie beobachtet wurden, wussten sie ohnehin. Noch immer gab der Feind kein Zeichen.
Keine Wahl blieb ihnen; sie mussten ihre Rolle bis zum Ende spielen. Daher brachte Aragorn nun das Heer, so gut es ging, in Schlachtordnung; und zwar ließ er es auf zwei großen Hügeln von Erdaushub und zersprengtem Gestein Stellung beziehen, die die Orks in jahrelanger Schufterei dort aufgeschüttet hatten. Zwischen ihnen und der Mauer lag wie ein Wallgraben ein breiter Sumpf von dampfendem Schlamm und übelriechenden Tümpeln. Als alles richtig stand, ritten die Heerführer mit einer starken Leibwache, mit der Fahne, den Herolden und Trompetern zum Schwarzen Tor. Es waren Gandalf als oberster Herold, Aragorn und Elronds Söhne, Éomer von Rohan und Imrahil von Dol Amroth; und auch Legolas und Gimli und Peregrin schlossen sich an, damit alle Feinde Mordors durch einen Zeugen vertreten waren.
In Rufweite des Morannon entrollten sie die Fahne und ließen die Trompeten blasen; dann traten die Herolde vor und schleuderten ihren herausfordernden Spruch über Mordors Mauern:
»Kommet hervor!«, riefen sie. »Der Herr des Schwarzen Landes soll hervorkommen! Recht soll ihm geschehen. Denn unrechtmäßig hat er Gondor mit Krieg überzogen und sein Land verheert. DemKönig von Gondor soll er für seine Schandtaten büßen und dann für immer verschwinden. Kommet hervor!«
Eine lange Stille trat ein. Kein Ruf und kein Laut kam als Antwort von der Mauer oder vom Tor. Aber Sauron hatte alles gut vorbereitet und gedachte, mit diesen Mäuschen erst ein grausames Spiel zu treiben, ehe er die tödlichen Pranken ausfuhr. Also wurde die Stille plötzlich durchbrochen, als die Heerführer sich schon abwenden wollten. Zuerst kam ein langer, gewaltiger Trommelwirbel, wie Donnergrollen in den Bergen, dann schmetterten Hörner los, dass die Felsen bebten und den Männern die Ohren taub wurden. Mit dröhnendem Knall öffnete sich der mittlere Flügel des Schwarzen Tors, und heraus kam eine Gesandtschaft des Dunklen Turms.
An der Spitze ritt ein großer, übler Geselle auf einem schwarzen Pferd – wenn es ein Pferd war, denn es war riesig und ungeschlacht, der Kopf eine grinsende Maske, einem Totenschädel ähnlich; und in den Augenhöhlen und Nüstern brannten rote Flammen. Der Reiter war ganz in Schwarz, und schwarz auch der hoch gewölbte Helm; aber er war kein Ringgeist, sondern ein lebendiger Mensch, der Verweser von Barad-dûr, dessen Name in keiner Geschichte überliefert ist, weil er selbst ihn vergessen hatte und sich nur den »Mund des Großen Gebieters« nannte. Es heißt aber, er sei aus dem Volk der Abtrünnigen gewesen, die man die schwarzen Númenórer nannte, weil sie sich in Mittelerde niederließen, als Sauron dort herrschte; und aus Begeisterung für sein dunkles Wissen verehrten sie ihn. Gleich als der Dunkle Turm wieder erstand, war er in Saurons Dienst getreten; und weil er ein kluger Kopf war, stieg er bald immer höher in der Gunst seines Herrn. Er studierte die große Hexerei, kannte viele von Saurons Gedanken und war grausamer als jeder Ork.
Er war es, der nun aus dem Tor geritten kam, begleitet nur von einem kleinen Trupp schwarz gepanzerter Soldaten mit einer einzigen Fahne, dem Bösen Auge, rot im schwarzen Feld. Wenige Schritt vor den Heerführern des Westens hielt er, musterte sie von oben bis unten und lachte.
»Hat in diesem Haufen einer Vollmacht, mit mir zu verhandeln?«, fragte er. »Oder wenigstens genug Verstand, zu begreifen, was ich ihm sage? Jedenfalls nicht du!«, sagte er verächtlich
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