Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
Fürst«, sagte der Wart, »hier ist Frau Éowyn von Rohan. Sie ist mit dem König geritten und wurde schwer verwundet; nun befindet sie sich in meiner Obhut. Aber sie ist nicht zufrieden und wünscht mit dem Statthalter zu sprechen.«
»Versteh ihn nicht falsch, Herr!«, sagte Éowyn. »Was mich bekümmert, ist kein Mangel seiner Pflege. Kein Haus könnte denen, die geheilt werden wollen, freundlicher sein. Aber ich kann nicht faul hier liegen bleiben, tatenlos, eingesperrt. Ich habe den Tod in der Schlacht gesucht. Aber ich bin nicht gestorben, und der Krieg geht weiter.«
Auf ein Zeichen von Faramir machte der Wart eine Verbeugung und ließ sie allein. »Was kann ich für dich tun, hohe Frau?«, sagte Faramir. »Auch ich bin ein Gefangener der Heiler.« Er blickte sie an, und weil er ein Mann war, dem fremdes Leid naheging, spürte er, wie ihr Kummer und Liebreiz ihn nicht kaltließen. Und sie blickte ihn an und sah, wie viel Ernst und Zartgefühl ihm in den Augen stand, und erkannte doch, weil sie unter Kriegern aufgewachsen war, dass dies einer war, dem kein Reiter der Mark in der Schlacht etwas voraushaben würde.
»Was kann ich tun?«, sagte er noch einmal. »Wenn es in meiner Macht steht, tu ich’s.«
»Du könntest diesem Wart befehlen, mich gehen zu lassen«, sagte sie; doch so stolz ihre Worte auch klangen, kamen sie nicht mehr ausvollem Herzen, und zum ersten Mal hatte sie selbst ein Bedenken. Sie befürchtete, dieser große Recke, der so ernst und mild zugleich war, könnte sie für ein launisches Kind halten, dem die innere Beständigkeit fehlt, eine langweilige Arbeit zu Ende zu bringen.
»Ich bin selbst in der Obhut des Heilwarts«, antwortete Faramir. »Auch habe ich mein Amt in der Stadt noch gar nicht angetreten. Aber wäre es auch anders, würde ich dennoch auf seinen Rat hören und mich in allem, was sein Handwerk betrifft, seinem Willen nicht ohne Not widersetzen.«
»Aber mich verlangt es nicht nach Heilung«, sagte sie. »Ich will in den Krieg reiten wie mein Bruder Éomer oder, besser noch, wie Théoden, der König, denn er hat den Tod und damit zugleich Ehre und Frieden gefunden.«
»Es ist zu spät, hohe Frau, dem Heer zu folgen, selbst wenn du bei Kräften wärest«, sagte Faramir. »Aber den Tod in der Schlacht können wir alle noch finden, ob wir ihn suchen oder nicht. Du wirst besser imstande sein, ihm auf deine Weise ins Auge zu sehen, wenn du einstweilen tust, was der Heiler gebietet. Du und ich, wir müssen beide die Zeit des Wartens mit Geduld ertragen.«
Sie antwortete nicht, doch als er sie anblickte, schien ihm, dass etwas in ihr sich erweichte, wie wenn strenger Frost sich vor den ersten blassen Vorzeichen des Frühlings zurückzieht. Eine Träne trat ihr ins Auge und lief die Wange hinunter wie ein schimmernder Regentropfen. Ihr hoch erhobenes Haupt senkte sich ein wenig. Leise, als spräche sie eher zu sich selbst als zu ihm, sagte sie dann: »Aber die Heiler wollen, dass ich noch sieben Tage das Bett hüte. Und mein Fenster liegt nicht nach Osten.« Ihre Stimme war jetzt die eines traurigen jungen Mädchens.
Faramir musste lächeln, so sehr ihm das Herz vor Mitgefühl überfloss. »Dein Fenster liegt nicht nach Osten?«, sagte er. »Dem lässt sich abhelfen. Darin will ich dem Wart befehlen. Wenn du in diesem Haus und in unserer Obhut bleibst, hohe Frau, und deine Ruhestunden einhältst, dann kannst du nach Belieben in der Sonne durch diesen Garten gehen und nach Osten blicken, wohin alle unsere Hoffnungen entschwunden sind. Und hier findest du mich, wartend und herumwandernd und ebenfalls nach Osten blickend. Es würde meine Sorgen lindern, wenn du bisweilen mit mir sprechen oder durch den Garten gehn wolltest.«
Da hob sie wieder den Kopf und sah ihm in die Augen; und ein wenig Farbe trat in ihr bleiches Gesicht. »Wie sollte ich deine Sorgen lindern, mein Herr?«, sagte sie. »Und mich verlangt nicht nach Gesprächen mit Lebenden.«
»Möchtest du eine ehrliche Antwort von mir hören?«, sagte er. »Ja.«
»Dann sag ich dir, Éowyn von Rohan, dass du schön bist. In den Tälern unserer Berge wachsen schöne, leuchtend bunte Blumen und noch schönere Mädchen; doch weder eine Blume noch eine Jungfrau hab ich bis heute in Gondor gesehen, die so schön ist und so traurig. Vielleicht haben wir nur noch wenige Tage, bevor das Dunkel auf unsere Welt herabsinkt, und wenn es kommt, so hoffe ich, ihm mit Fassung zu begegnen; doch würde es mir das Herz leichter machen,
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