Der Herr der Ringe: Neuüberarbeitung der Übersetzung von Wolfgang Krege, überarbeitet und aktualisiert (German Edition)
alle bis auf Arwen, die an seinem Bett stehen blieb. Und all ihr Wissen und ihre edle Abkunft hinderten sie nicht, ihn anzuflehen, er möge noch eine Weile bleiben. Sie selbst war ihres Lebens noch nicht müde, und so kostete sie von der Bitterkeit des Menschenschicksals, das sie auf sich genommen hatte.
›Frau Undómiel‹, sagte Aragorn, ›dies ist wahrhaftig eine schwarze Stunde, doch sie wurde schon an dem Tag anberaumt, als wir uns unter den Birken in Elronds Garten trafen, der nun verödet ist. Und auf dem Hügel Cerin Amroth, als wir sowohl dem Schatten als auch der Abenddämmerung entsagten, haben wir dieses Los angenommen. Frage dich selbst, Geliebte, ob du wirklich willst, dass ich abwarte, bis ich vertrocknet bin und entkräftet und verblödet vom Thron falle! Nein, edle Frau, ich bin der letzte Númenórer und der letzte König der alten Zeiten; und mir ist nicht nur ein Leben gewährt worden, das dreimal so lang war wie das der Menschen von Mittelerde, sondern auch die Gunst, aus freiem Willen zu gehen und die Gabe zurückzugeben. Darum will ich nun schlafen.
Keinen Trost sprech ich dir zu, denn in den Kreisen der Welt gibt es keinen für einen solchen Schmerz. Die letzte Entscheidung liegt bei dir: alles zu bereuen, zu den Anfurten zu gehn und die Erinnerung an unsere gemeinsamen Tage mitzunehmen in den Westen, wo sie dann ewig grün, doch nie mehr als eine Erinnerung bleiben wird; oder aber dich ins Schicksal der Menschen zu fügen.‹
›Nein, geliebter König‹, sagte sie, ›diese Entscheidung ist längst getroffen. Nun geht kein Schiff mehr, das mich dort hintragen könnte, und ich muss mich ins Schicksal der Menschen fügen, ob ich will oder nicht: in den Verlust und die Stille. Doch eines sag ich dir, König der Númenórer; bis jetzt hatte ich die Geschichte von eurem Volk und seinem Untergang nicht verstanden. Als bösartige Narren hab ich die Númenórer verachtet, doch nun endlich kann ich sie bedauern. Denn wenn dies wirklich, wie die Eldar sagen, dieGabe des Einen für die Menschen ist, dann ist es bitter, sie zu empfangen.‹
›So scheint es‹, sagte er. ›Doch lass uns nicht bei der letzten Prüfung scheitern, nachdem wir einst dem Schatten und dem Ring entsagt haben. Im Schmerz dürfen wir scheiden, doch nicht in Verzweiflung. Sieh, wir sind nicht für immer an die Kreise der Welt gebunden, und jenseits von ihnen ist mehr als nur Erinnerung. Lebe wohl!‹
›Estel, Estel!‹, rief sie, und gleich darauf, während er noch ihre Hand nahm und küsste, fiel er in Schlaf. Dann trat eine große Schönheit an ihm zu Tage, sodass alle, die nachher dazukamen, ihn mit Erstaunen betrachteten; denn die Anmut seiner Jugend, die Reife seiner Mannesjahre und die Weisheit des Alters schienen in eins verschmolzen zu sein. Und lange ruhte er dort, ein Bild von der Herrlichkeit der Menschenkönige in ihrem ungetrübten Glanz, ehe die Welt auseinanderbrach.
Arwen ging fort aus dem Totenhaus, und das Licht ihrer Augen war erloschen, und ihrem Gefolge schien es, dass sie kalt und grau geworden war wie eine Winternacht ohne Sterne. Dann sagte sie Eldarion Lebewohl, ihren Töchtern und allen, die sie geliebt hatte; und sie verließ die Stadt Minas Tirith und ging nach Lórien. Dort blieb sie allein unter den absterbenden Bäumen, bis der Winter kam. Galadriel war fortgegangen, und auch Celeborn war nicht mehr da, und im Lande war es still geworden.
Endlich, als die Mallornblätter abfielen und der Frühling noch nicht gekommen war, legte sie sich auf dem Cerin Amroth zur Ruhe; und dort ist ihr grünes Grab, bis die Welt anders wird, und alle Tage ihres Lebens sind bei den Menschen, die nach ihr kommen, ganz in Vergessenheit gefallen, und Elanor und Niphredil blühen nicht mehr östlich des Meeres.
Hier endet diese Erzählung, wie sie aus dem Süden zu uns gekommen ist; und über die alten Zeiten nach Abendsterns Hinscheiden wird in diesem Buch nichts mehr gesagt.«
II
DAS HAUS VON EORL
»Eorl der Junge war der Fürst der Menschen von Éothéod. Dieses Land lag nah bei den Quellen des Anduin zwischen den fernsten Ausläufern der Nebelberge und den nördlichsten Teilen des Düsterwaldes. In dieses Gebiet waren die Éothéod zur Zeit König Earnils II. aus den Landen im Anduintal zwischen Carrock und Schwertel gezogen; und sie waren ihrer Herkunft nach den Beorningern und den Menschen an den Westrändern des Waldes nah verwandt. Eorls Vorväter behaupteten, von den Königen von Rhovanion
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